Neohistorismus in Deutschland und der Welt

  • Neohistorismus in Deutschland und der Welt

    Im steinernen Berlin fand ein neohistoristischer Baustil nach der Wende wieder das Gefallen der Bevölkerung. Das Adlon wurde nicht nur von den Berlinern gut angenommen, und nicht nur meiner Meinung nach sind auch andere Bauten von Patzschke und Patzschke sehr beliebt.
    Auch Kleihues (der aber nicht sonderlich glücklich darüber war) baute am Pariser Platz mit neohistoristischen Anleihen.


    Ist das nun eine typisch deutsche Bauart? Wird in anderen europäischen Ländern ebenfalls neohistoristisch gebaut, oder ist das verpönt? Oder bauen England, Frankreich, Polen, usw. nur modern? Hat da jemand eine Ahnung?
    Von den USA ist es bekannt, daß die Baukunst dort sehr konservativ ist. Und auch die Patzschke-Bauten, mit ihrem zweistöckigen Untergeschoß mit großen Schaufenster wirken ziemlich angelsächsisch... ist das nur meine Meinung, oder ist das schon anderen aufgefallen?


    Ansonsten: Gefällt euch dieser Baustil, oder verleugnet er einfach die Vergangenheit?

  • Ist eine schwierig zu beurteilende Angelegenheit, weil zum einen Experinmente mit den modernen Bauformen ja immer mit dem Umfeld auch gut korrespondieren müssen, aber andererseits eine ausschliessliche Rückbesinnung auf den Eklektizismus und die Gründerzeit ja auch nicht das Gelbe vom Ei ist. Ein beispiel ist die derzeit laufende Kritik an der Stahl-/Glasfassaden-Welle, weil es ja gut ist, wenn Stahl-/Glaswände auf eine Massivwand treffen, und so eine heterogene Struktur entsteht. Wenn aber nur noch gläserne Fassaden vom Parterre bis hin zur Attika anzutreffen sind, kann das auch nicht gut sein, oder!?

  • Hier im Westen von D. gibt habe ich diesen Trend kaum beobachtet-Schließlich ist ja hier fast alles wieder aufgebaut. Sicherlich hat es diesen Neohistorismus durchgängig nach dem Krieg gegeben, und da fast immer in den Innenstädten,um zuvor zertörte historisierende Gebäude zu ersetzen. In Berlin hängt das wohl damit zusammen, dass die Mitte der Stadt mit langer Verzögerunung wieder vervollständigt wurde. Und insbesondere dadurch, daß die Baugesetzgebung in Mitte diese Art der Architekur quasi vorschreibt und damit in D. wohl ein Unicum schafft.


    Aktuell gibt es, wie gesagt, sehr wenig Architektur dieser Art hier, als Beispiel qualitätsvoller moderner Architekur mit (je nach Umfeld) mehr oder weniger starken Bezügen zur klassischen Architektur fallen mir die Bauten Van den Valentin in Bonn/Köln ein, aber das sind Einzelfälle


    Viel interessanter ist dagegen die aktuelle Rekonstruktionsdebatte. Schliesslich sind fast alle Ruinen wieder aufgebaut, Rekonstruktionen müssen dadurch quasi aus dem Nichts entstehen. Interessant und neu ist sicherlich, daß Investoren vermehrt zu Rekonstruktionen tendieren, anscheinend um sich Sympatien zu sichern oder aus der Einheitsmasse der Investorenbauten hervorzutreten, wie beispielsweise der Schlossbau in Braunschweig, Villa Kenedy und Palais von Thurn und Taxis in Frankfurt oder der historisierende Hotelbau, der zur Zeit an der Königsalle in Düsseldorf entsteht. In den beiden letzten Fällen sogar in Städten, die sich bisher radikal der modernen Architektur verschrieben hatten. Ein Grund hierfür ist sicherlich, dass seit ca 15 Jahren mit großem Erfolg alte Gemäuer entkernt wurden und neuen Funktionen zugeführt wurden. Heutzutage sind alte, hierfür geeignete Gebäude in den Innenstädten hier im Westen rar geworden, so muss eben rekonstruiert oder historisierend nachgebaut werden.


    Ein weiteres interessantes Kapitel ist die Tatsache, dass nach 60er und 70er-Architekur, nach Postmoderne und Neuer Moderne der jetzigen Zeit in den letzten Jahren vermehrt Häuser im Bauhausstil gebaut werden, und zwar rein im Stil der 20er ohne moderne Merkmale. Ob man in diesem Fall auch von historisierender Bauweise sprechen kann, darrüber sollte man sich mal ordentlich Streiten!!!

  • @ Le Fay
    Ich glaube, dass die Grundsituation von Berlin bzgl. der steinernen Bauten eine andere ist. Berlin ist geprägt von Kriegszerstörungen, dem kalten Krieg und anderen Bausünden der Neuzeit!
    Gleichzeitig hatte Berlin immer die schwere Bürde zu tragen als die Stadt zu gelten, in der die bauliche Moderne mit den Wolkenkratzerentwürfen von Mies van der Rohe begann!
    Das heißt, dass die Gemengelage für jeden Architekten eine äußerst schwierige Herausforderung bedeutet.
    In der Nachkriegszeit versuchte man dieser Geschichte zu entgehen, und baute unbelastete Kästen! Wenn du einmal in alte Architekturzeitschriften schaust, wirst du eine unglaubliche Begeisterung bzgl. EiermannBauten und dem HansaViertel, den Le Corbussier und Aalvar Aalto und Hans Scharoun Zeugs finden!
    Rob Krier erinnerte dann wieder später an die europäische Städtebautradition mit seinen Bauten.
    Renzo Piano beurteilte die Situation 1993 schon völlig anders!
    er beschrieb die Situation in Berlin als eine Art Spurensuche, bei der man der geschundenen Stadt eine Struktur zurückgeben wollte!
    Dementsprechend hat sich dieser Ansatz auch bei Stinnemann und Hassemer durchgesetzt!
    Lange Rede kurzer Sinn: Die Ausgangslage in Berlin ist eine Extremsituation, die nicht mit der in Paris, London oder Wien vergleichbar ist!

  • Ja, die Geschichte mit dem Hansaviertel ist mir bekannt. Da muß ich sagen, daß mir die Karl-Marx-Allee wesentlich besser. Auch wenn das Hansaviertel als vorbildlich für den Städtebau galt. Es wirkt in der heutigen Zeit eher deprimierend.


    Ich sehe Berlin als Sandkasten der Architekten, in dem viel probiert wird, aber in dem auch die Traufhöhe und die kritische Rekonstruktion eine Rolle spielen. Ich kenne außerhalb Berlins kaum Luxuxbauten aus Sandstein, die sich an die z.B. 20/30iger anlehnen oder an den Historismus als solchen.


    Also zählt das als "typisch berlinerisch"...?
    Ist dieser Entwicklung dann auch zu begrüßen?

  • Also wenn ich ganz ehrlich bin, finde ich Auflockerungen gar nicht mal schlecht!
    Ich glaube, dass die Wiener das wohl noch am besten hingekriegt haben.
    Im amerikanischen Städtebau ist wohl m.M.n. Vancouver am gelungsten, wobei die Lage der Stadt auch einiges noch herausholt!
    Das Columbuscenter ist zwar nicht so steinern, aber die Bibliothek die sich ja am Collosseum orientiert ist so steinern, dass sogar die Berliner neidisch werden! ;)


    (leider ist die Ausführung im Original nicht so hochwertig!)
    http://www.vancouverbnb.com/Va…-pix/VanPublicLibrary.jpg
    http://images.google.de/imgres…illa:de:official%26sa%3DN
    http://www.nyu.edu/tisch/prese…mia/amia03library-241.jpg
    http://www.nyu.edu/tisch/prese…mia/amia03library-237.jpg
    besonders die Innenausführung ist ziemlich vermurkst!

  • Kent of Neapel


    Da gebe ich dir recht. Von aussen hat das Gebäude ja wirklich was für sich, aber dieser bekloppte weisse riegel im Innern macht alles wieder kaputt. Ich finde, um den Raum im Innern richtig zur Geltung kommen zu lassen, hätte er frei und oval wie eben im Flavischen Amphitheater sein müssen. Was beherbergt dieser Riegel eigentlich für Räume? Hätten die nicht auch unterirdisch oder entlang der Aussenwand angelegt werden können?

  • Interessante Bilder, aber ich finde, es is ein bißchen protzig, weswegen es für mich eher postmodern als neohistorisch wirkt! Trotzdem sehr interessant!!! Und vielen Dank!!!

  • Bei dem Gebäude handelt es sich um die öffentliche Bibliothek von Vancouver!
    Ich war in dem Gebäude vor rund 5 Jahren. So weit ich mich erinnern kann, handelt es sich zwar um ein nettes Postkartengebäude von Außen!
    Dabei sind grade die Verzierungen recht plump und grob!
    Der Innenraum ist hingegen sehr konventionell, wenn nicht sogar langweilig geraten! Betonwände und viele Treppen verbunden mit einer halbwegs guten Beleuchtung lassen es im Inneren doch recht kühl wirken! So hat der Innenraum immer ein bisschen die Atmossphäre einer CA Filiale.
    Im Innenhof befindet sich ein Kaffee und ein Schreibutensilienshop!
    So, dass dieser sich zu einem beliebten Treffpunkt entwickelt hat!

  • also irgendwie finde ich die diskussion hier etwas verwirrend. am meisten den begriff neohistorismus. historismus war doch die benutzung aller vorangegangenen stilepochen. hierbei wurden alle gebäude in eine bestimmte epoche eingeteilt, z.b. wohnquartiere wurden hauptsächlich mit stilelementen der renaissance gebaut, da in dieser zeit die stadt ihren höhepunkt hatte, oder theater im barockstil, da das barock die große zeit der theater war usw. deshalb kann man doch den stil, der in berlin verwendung findet, nämlich die orientierung an den historischen vorgängerbauten kaum neohistorismus nennen, da die idee des historismus hier in keinster weise mit einfließt.


    stattdessen würde ich diesen stil eher "berlin style" nennen, um es mal international auszudrücken. was vielleicht zum neohistorismus zählt ist das kolhoffsche hochhaus am potse, das sich am art deco orientiert, oder wie LeFay schon richtig gesagt hat das adlon oder entwürfe von patschke und patschke. was dagegen in anderen deutschen städten passiert ist doch wohl eher die rekonstruktion von historischen gebäuden. um aber zum thema zurück zu kehren ist meine meinung zum "berlin style" eindeutig positiv. Steinerne Gebäude vermitteln einfach mehr beständigkeit. und die orientierung an der stadt des 19. jhds ist eigentlich nichts anderes als die orientierung an der stadt der renaissance, also an der blütezeit der städte. warum sollte etwas, dass einst eine blüte auslöste und dies auch beim zweiten mal tat etwas schlechtes sein. außerdem, darf man auch nicht vergessen, dass gerade durch die abkehr vom historismus die deutschen innenstädte zerstört wurden. schlagt mal bei wikipedia nach, dort gibt es kaum eine deutsche großstadt, bei der nicht das stadtzentrum erst durch die planungen nach dem zweiten weltkrieg zerstört wurde und nicht durch den krieg selbst. wir bewundern alle rom oder paris aber in deutschland selbst wollen wir die annährung an solche stadtbilder seltsamer weise aufhalten. hier wird um jede rekonstruktion debattiert, wo in anderen ländern, wie z.b. polen eine ganze altstadt rekonstruiert wird. architekten und andere kritisieren, dass man sie in ihre grenzen weist, wobei die architektur schon lange nichts mehr mit dem respekt vor früheren baustilen sondern nur noch mit dem finden des eigenen stils zu tun hat. mit der selbstsucht mancher architekten. ob das gebäude, dass sie der nachwelt hinterlassen den menschen, die rund herum leben gefällt scheint doch für die meisten unwichtig geworden zu sein. deshalb gut, dass jemand wie stimmann in der position ist um ein "versuchslabor berlin" zu verhindern.


    grüße
    semper


    P.S.: einen wirklichen "neohisturismus" würde ich sehr begrüßen, denn das würde heißen, dass man sich wirklich kaum noch gedanken machen müsste, ob sich neubauten in ihre umgebung einpassen...

  • Der Historismus wurde schon zu seiner Zeit stark kritisiert. Die Diskussion klang wie die heutige, man nahm an, den damals zeitgenössischen Architekten, sei die Formensprache ausgegangen, deshalb müsse oder könne man nicht anders als auf Überkommenes zurückzugreifen.


    Die Bezeichnung "Berlin Style" halte ich für etwas germanozentrisch der Stil der sich in den neunzigern in Berlin durchgesetzt hat und natürlich seine lokaloe Ausprägung gefunden hat wurde schon Ende der Siebziger und in den Achzigern vor allem in Großbritannien und an der US-Ostküste propagiert, lange bevor man in Deutschland überhaupt darüber nachdachte klassiche Bautraditionen modern zu interpretieren.

  • Och wieso, es lassen sich doch Unterschiede darstellen! Man hat nicht einfach in die Pampa irgentwas aus romantischer Verklärung gestellt. In Berlin hatte man immer ein historisches Vorbild, eine Matrize im Hintergrund. Es ging darum, den Faden der Vergangenheit aufzugreifen!
    Und wenn wir schon beim Thema sind, dann nennen wir es doch lieber Berlin Stil als Style oder? ;)

  • rako


    das ist genau das, dass dem historismus immer vorgeworfen wurde, einfallslos zu sein, sich ausschließlich vergangener baustile zu bedienen. ganau das waren die argumente, die damals die verfechter der "moderne" angeführt haben. es wurde nie akzeptiert, dass der historismus (oder auch gründerzeitstil) ein eigener stil ist. soll mir mal jemand ein bauwerk aus dem historismus zeigen, dass diesem stil nicht klar zu zuweisen ist sondern einer vergangenen stilepoche. das wird nämlich schwer zu finden sein! von daher kann man den historismus doch wohl als stilepoche bezeichnen, auch wenn manche dass nicht wahrhaben wollen. außerdem baute der historismus auf vorangegangenen baustilen auf, ganau so wie auch z.b. das barock auf der renaissance aufbaute usw. auf was baut den bitte die moderne auf? die weiterentwicklung des historismus geht nämlich in richtung jugendstil und später art deco. die "bauhaus moderne" bricht zum größten teil mit dieser fortschreibung der architekturgeschichte indem es keinerlei formen der vorangegangenen baustile mehr aufweist. es lässt sich keine verbindung mehr zu der vergangenheit herstellen außer vielleicht ein paar paralellen zum art deco design. damit ist es aber auch schon alles. diese moderne , die vor allem in den 60ern und 70ern für die verschandelung der deutschen stadtzentren geführt hat ist ein klarer bruch zu allem vorangegangenen ganau so wie z.b. der sozialismus ein klarer bruch zu kaiserreich, weimarer republik und nazireich war. ebenso wie der sozialismus wäre auch diese moderne ohne die entwicklungen im zweiten weltkrieg, in deutschland nicht salonfähig gewesen.


    Kent of neapel


    meinetwegen auch Berlin Stil, hab ja auch geschrieben "international" ;)


    grüße


    semper

  • semper: Den Begriff Neohistorismus hab ich nicht selbst erfunden, auf den Berliner Internetseiten wurde das Adlon selbst als neohistorisch bezeichnet.


    So wie der Historismus frühere Epochen zitiert, zitiert der Neohistorismus den Historismus. Daher finde ich diesen Baustil auch schon gut. Er ist neuer gegliedert, nimmt jetzt die Architektursprache der 20iger und 30iger auf, modernisiert sie, ohne kitschig zu wirken und bildet daher selbst etwas Solides. Etwas Steinernes, etwas Repräsentatives.

  • Zitat von LeFay

    Ist das nun eine typisch deutsche Bauart? Wird in anderen europäischen Ländern ebenfalls neohistoristisch gebaut, oder ist das verpönt?


    Es gibt einen englischen Architekten namens Quinlan Terry, der seit Jahrzehnten klassizistische und traditionelle Bauwerke auf handwerklich höchstem Niveau errichtet. Einfach mal googeln, auf seiner Webseite gehen Euch die Augen über. Es gibt auch einen opulenten Bildband von Dr. David Watkin aus Cambridge über Terry's Lebenswerk mit phantastischen Fotos und einem Vorwerk von Prince Charles, müßte bei Amazon erhältich sein.:)

  • Oh danke, guter Hinweis. Wobei ich das als Historismus sehe, als Neohistorismus. Terry scheint sich ja nur der alten Formensprache zu widmen, was aber nicht schlecht ist. Ich wußte gar nicht, daß es sowas noch in Europa gibt!!!

  • Liebes Forum,


    im Rahmen meiner Magisterarbeit im Fach Kunstgeschichte befasse ich mich zum Teil mit dem Thema des Neohistorismus. Bisher gibt es dazu kaum Literatur, zumindest keine zitierfähige. Sollte euch Literatur dazu bekannt sein wäre ich sehr dankbar für die Hilfe.

  • Re:

    In Düsseldorf und Köln wird derzeit auch wieder gern im historisierenden Stil gebaut. Ein Beispiel ist das Dominium in Köln:


    Dominium


    Wie ich finde, sehr gelungen..