Der Brückenprozeß

  • Der Brückenprozeß

    Rechtsstreitigkeiten um Frankfurter Bauwerke drehten sich keineswegs nur um Häuser oder gar nur Hochhäuser und waren auch keineswegs nur Nachbarstreitigkeiten. Einer der Prozesse in den frühen Nachkriegsjahren hatte Trümmer zum Streitgegenstand, genaugenommen die Kosten ihrer Beseitigung.


    Begonnen hat der Fall am 26.3.1945. Zwei Tage nach dem letzten alliierten Luftangriff auf Frankfurt, den die Brücken wie alle andere Luftangriffe zuvor auch unbeschadet überstanden hatte (nur die wegen Baufälligkeit eh schon seit 1938 gesperrte Obermainbrücke war schon 1944 schwer beschädigt worden), und drei Tage vor dem Einmarsch der US-Truppen sprengte die Wehrmacht an diesem Tag die Frankfurter Mainbrücken, wohl in der abwegigen Erwartung, das Vordringen der Invasionstruppen nach Norden noch irgendwie stoppen oder behindern zu können. Bei den großen Brücken legte die Wehrmacht auf dem Scheitel aller Brückenbögen quer über die Straße Sprengbomben, deren Zündung die Brückenbögen einstürzen ließ; beim Eisernen Steg genügte eine kleine Ladung in der Mitte.



    Foto: gemeinfrei


    Vier der fünf städtischen Mainbrücken waren danach unpassierbar, ihre Trümmer blockierten die Fahrrinne, so dass auch die Schifffahrt unterbrochen war. Nur die Wilhelmsbrücke war noch passierbar.


    Sofort nach dem Ende der Kampfhandlungen begann die Stadt mit der Wiederherstellung der Brücken und Freimachung der Fahrrinne – unter den gegebenen Bedingungen eine technische Herausforderung und vor allem ein sehr teures Unterfangen. Kein Wunder also, dass die Stadt nach Wegen suchte, sich finanziell zu entlasten.


    Sie war der Auffassung, die Aufrechterhaltung der Schifffahrt sei Aufgabe der Wasserstraßenverwaltung des Deutschen Reichs bzw. der Wirtschaftsverwaltung der Bizone bzw. der Bundesrepublik Deutschland, folglich müsse diese Behörde tätig werden, die Kosten tragen und soweit die Stadt diese Aufgabe notgedrungen übernommen habe, müsse sie der Stadt die entstandenen Aufwendungen ersetzen.



    Schwanheimer Brücke, Foto: Heimat- und Geschichtsverein Schwanheim


    Die Wasserstraßendirektion dachte aber gar nicht daran, sie stellte sich auf den Standpunkt, die Brücken seien Eigentum der Stadt und folglich sei die Eigentümerin auch verantwortlich, ihre Einzelteile auf eigene Kosten aus dem Weg zu räumen. „Gemäß Beschluss des Verwaltungsrats für Verkehr (9. Sitzung) vom 26. März 1947 und dem Erlass des Verwaltungsrats für Verkehr vom 3. Mai 1947 (…) hat die Trümmer der durch Kriegsereignisse zerstörten Brücken derjenige zu beseitigen, dem die Brückenbaulast obliegt.“ Und das sei doch eindeutig die Stadt Frankfurt, welche die Brücken einst erbaut habe. Natürlich sei die Wasserstraßenverwaltung bereit, der Stadt bei der Räumung behilflich zu sein, falls die Stadt dies wünsche – natürlich auf Kosten der Stadt Frankfurt. Immerhin hat die Wasserstraßendirektion die Fahrrinne bei zwei der fünf Brücken auf ihre Kosten geräumt, bei den anderen drei Brücken tat es die Stadt. Über Eisenbahnbrücken und die Reichsautobahnbrücke in Niederrad wissen wir nichts.


    Landgericht Frankfurt am Main, Urt. v. 18.12.1952 – 2/4 O 200/52- (n.v.)


    Zunächst hat die Stadt wegen der Räumung des Flußbettes von den Trümmern der Wilhelmsbrücke beim Verwaltungsgericht Wiesbaden einen Teilbetrag von 15.000 RM = 1.500 DM eingeklagt. Die Stadt hielt den Fall für eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit, da die Parteien beide Körperschaften des öffentlichen Rechts waren. Das Verwaltungsgericht sah das anders und hat die Klage mit Urteil vom 22. Januar 1952 mit der Begründung abgewiesen, der Verwaltungsrechtsweg sei nicht zulässig, es handele sich um eine bürgerlich-rechtliche Angelegenheit, die ordentlichen Gerichte seien zuständig. Die hiergegen eingelegte Berufung hat die Stadt Frankfurt wieder zurückgenommen aber sogleich Klage beim Landgericht erhoben auf Erstattung eines Teilbetrages von 6.100 für die Freiräumung der Fahrrinne.


    Im Prozess hat die Wasserstraßendirektion vorgetragen, die Stadt habe einst nach preußischem Recht die Erlaubnis erhalten, die fraglichen Brücken über den Fluss zu spannen. Das Rechtsverhältnis zwischen Parteien sei als Leihe gemäß § 604 BGB (unentgeltliche Überlassung des Gebrauchs des Flussgrundstücks) zu qualifizieren. Da mit der Sprengung der Gebrauch endete, die Leihzeit also beendet sei, sei die Stadt verpflichtet, das Flußgrundstück in dem Zustand zurückzugeben, der vor Beginn des Gebrauchs bestanden habe. Außerdem liege in der Vertrümmerung des Flussbetts eine Störung von Bundeseigentum, folglich sei Stadt als Eigentumsstörer im Sinne von § 1004 BGB zur Räumung des Flussbettes verpflichtet (Störerhaftung).


    Das Landgericht hat am 18.12.1952 (Az. 2/4 O 200/52) ein Grundurteil verkündet, den Anspruch der Stadt also nur dem Grunde nach anerkannt, weil über die Höhe der Räumungskosten noch gestritten wurde.


    Die beklagte Behörde sei aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung zur Erstattung der Räumungskosten verpflichtet. Nach dem preußischen Wasserrecht obliege ihr die Unterhaltung des Flußlaufs und folglich hätte es ihr oblegen, den Flußlauf des Mains für eine gefahrlose Benutzung freizumachen und auch die Kosten dafür zu tragen. Dieser Verpflichtung sei die Behörde nicht nachgekommen, so dass die Stadt die Räumung besorgt habe. Unter dem rechtlichen Aspekt der Geschäftsführung ohne Auftrag müssten die Aufwendungen der Stadt ersetzt werden, weil die Räumung im Interesse der Behörde, auf jeden Fall aber im öffentlichen Interesse gelegen habe.


    Durch das Tätigwerden der Stadt sei die Behörde zudem ungerechtfertigt bereichert worden, weil sie die eigentlich ihr obliegenden Aufwendungen für die Räumung erspart habe, sie hat demnach ohne rechtfertigenden Grund etwas erlangt, das an die Stadt, in Höhe der Räumungskosten, herauszugeben sei.


    Weder das Argument der Leihe noch der Eigentumsstörung machte sich das Landgericht zu eigen. Als Störer mochte das Landgericht die Stadt nicht sehen, weil die Sprengung weder durch sie noch aufgrund ihres Willens erfolgt sei, sondern von der Wehrmacht veranlasst worden war. Für die Folgen dessen habe aber die Stadt nicht einzustehen und eine Rechtspflicht der Stadt zur Trümmerbeseitigung sei von der Behörde weder vorgetragen worden noch der Sache nach erkennbar.


    Oberlandesgericht Frankfurt, Urt. v. 26.11.1953 – 1 U 13/53 – (n.v.)


    Das OLG Frankfurt sah die Sache völlig anders, es hob das erstintanzliche Urteil auf und wies die Klage ab. Zwar folgte das OLG weder dem Argument der Störerhaftung aus § 1004 BGB noch hat es einen Anspruch aus einem beendeten Leihverhältnis gesehen; es fand aber, das preußische Recht liefere die Rechtsgrundlage für eine umfassende Trümmerbeseitigungspflicht der Stadt. Folglich sei diese nur einer eigenen Rechtspflicht nachgekommen und habe nicht das Geschäft der Wasserbehörde erledigt; Folge: keine ungerechtfertige Bereicherung, kein Erstattungsanspruch.


    Die umfassende Trümmerbeseitigungspflicht sah das OLG im preußischen Allgemeinen Landrecht. Nach § 52 II 15 ALR gehöre es zu den ureigensten hoheitlichen (regalen) Rechten des preußischen Königs, Brücken über schiffbare Flüsse zu schlagen. Die vorbehaltene Erlaubnis sei der Stadt Frankfurt durch eine Konzession vom 14. Oktober 1871 erteilt worden, worin es unter anderem heißt:


    § 2
    Die Stadtgemeinde hat die Brücke, die Rampen und Treppen auf eine, jede Störung der Schifffahrt und jede Gefährdung des Verkehrs möglichst ausschließenden Weise und nach näherer Anordnung des königlichen Polizeipräsidiums zu Frankfurt/M. Respektive der königlichen Regierung zu Wiesbaden zu unterhalten und im Falle der Beschädigung wieder herzustellen. Die Reinigung und Beleuchtung der Brücke erfolgt auf Kosten der Stadtgemeinde.


    § 3
    Für den Fall der Zerstörung oder des Einsturzes der Brücke hat die Stadtgemeinde deren Herstellung in einer von der Staatsregierung zu bestimmenden Frist auf ihre Kosten zu bewirken, widrigenfalls diese Konzession erlischt. Wenn die Benutzung der Brücke wegen baulicher Mängel oder aus anderen Gründen unterbrochen werden sollte, so ist die Stadtgemeinde verpflichtet, auf Verlangen der Staatsregierung sofort für die Herstellung einer Fähranstalt zu sorgen, durch welche das übersetzen nach den polizeilich zu treffenden Anordnungen zu bewirken ist.


    Aus diesen Bestimmungen der Konzession ergebe sich, dass die Stadt die Brücke in einer jede Störung der Schifffahrt ausschließenden Weise zu unterhalten und die Brücke bei Zerstörung oder Einsturz wieder aufzubauen habe. Sinn und Zweck dieser Bestimmungen könne nur der gewesen sei, dass dem Staat durch die der Stadt eingeräumte Vergünstigung, eine Brücke zu bauen, keinerlei Mehrbelastung entstehen solle. Darum sei der Stadt zur Pflicht gemacht worden, jede von der Brücke ausgehende Störung auf ihre Kosten zu beseitigen.


    Die Beschränkung der Urteilsgründe auf die Untermainbrücke hatte damit zu tun, dass der Senat gefordert hatte, die Stadt möge ihre Ansprüche spezifizieren und aufgliedern danach, welche Aufwendungen sie vor und nach der Währungsreform getätigt habe und welche Aufwendungen sie für welche Brücke getätigt habe. Die Stadt hatte daraufhin ihre Teilklage dahin präzisiert, der Betrag von 6.100 DM sei ein Teilbetrag der rd. 33.000 DM, die sie nach der Währungsreform für die Trümmerräumung an der Untermainbrücke aufgewendet habe. Das hatte die Wasserstraßenverwaltung bewogen, die Conzessionsurkunde von 1871 in den Prozess einzuführen Außerdem hatte sie noch vorgetragen, beim Eisernen Steg und der Untermainbrücke seien die Trümmer nicht zur Freimachung der Fahrrinne geräumt worden, sondern zur Wiederlangung von Bauteilen zur Reparatur der Brücken (nach damals gültigem Prozessrecht war es möglich, in der Berufungsinstanz neue Tatsachen vorzutragen, was seit 2002 nur noch unter engen Voraussetzung zulässig ist).


    Erst in diesem Zusammenhang erfahren wir, dass es um die Alte Brücke, den Eisernen Steg, die Untermainbrücke, die Wilhelmsbrücke und die Schwanheimer Brücke ging. Die Obermainbrücke war zwar auch gesprengt worden, sie war ohnehin schon so baufällig und einsturzgefährdet, dass man sie seit August 1938 nur zu Fuß passieren konnte, der Straßenbahn- und Autoverkehr war unterbrochen worden. Unter den Bedingungen der Kriegswirtschaft hatte es keine Stahlzuteilung für die Reparatur gegeben, die erfolgte erst 1948.


    Bundesgerichtshof, Urt. v. 25.11.1955 – V ZR 37/54 – (BGHZ 19, 126-130)


    Schon im Hinblick auf den neuen Tatsachenvortrag in zweiter Instanz ließ die Stadt die Sache nicht auf sich beruhen und legte gegen das Urteil des OLG Frankfurt Revision ein. Der BGH hob das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.


    Den Verweis des OLG auf das ALR von 1794 und die Cozessionsurkunde fand der BGH „nicht frei von Rechtsirrtum“, da dieses in der vormaligen Freien Reichsstadt niemals Geltung erlangt habe. Dieses Gesetzeswerk sei teilweise in Gebieten eingeführt worden, die zur Zeit seiner Schaffung noch nicht zum Königreich Preußen gehörten. Eine solche Bestimmung sei für das Gebiet von Frankfurt am Main nicht ergangen. Die Conzession von 1871 sei ein Verwaltungsakt nach preußischem Wassergesetz, dessen inhaltliche Auslegung durch das OLG der freien Nachprüfung des Revisionsgericht unterliege. Und die führte zu einem conträren Ergebnis:


    § 3 der Concession sei lediglich die Rechtsgrundlage für ein Verlangen der Wasserbehörde, die Herstellung der Brücke binnen einer Frist zu verlangen, anderfalls die Conzession erlösche – eine Auslegung nah am Wortlaut, kurz und knapp.


    Bei § 2 der Concession sei daran gedacht, eine Störung der Schiffahrt und eine Gefährdung des Verkehrs zu verhindern, solange die Brücke vorhanden ist und benutzt wird. Die Bestimmung beziehe sich nicht auf den Fall, dass eine Brücke überhaupt nicht mehr vorhanden ist, sondern nur Trümmer, die keinen Zusammenhang mehr mit der Brücke hätten und ohne Verschulden der Klägerin ins Flußbett gelangt seien.


    Aus § 114 Wassergesetz ergebe sich die Verpflichtung der Beklagten zur Erhaltung der Vorflut und der Schiffbarkeit, jedoch keine Pflicht, der Stadt ein von Trümmern geräumtes Flußbett für den Aufbau der Brücke zur Verfügung zu stellen. Soweit die Trümmerbeseitigung der Vorbereitung des Aufbaus diente, habe die Stadt im eigenen Interesse gehandelt – also insoweit kein Aufwendungsersatz - , soweit sie der Freimachung der Fahrrinne diente sei es ein Geschäft der Wasserbehörde gewesen – insoweit Kostenersatz.


    Oberlandesgericht Frankfurt, zweiter Durchgang


    Damit hat der BGH zugleich den Umfang der erforderlichen Sachverhaltsklärung umrissen. Die aufgewendeten Kosten mussten danach sortiert werden, ob sie der Freimachung der Fahrrinne dienten oder nicht.


    Dazu hat der Senat einen umfangreichen Beweisbeschluss erlassen und darin der Stadt u.a. zur Auflage gemacht, Pläne und Zeichnungen vorzulegen, woraus sich Lage und der Umfang der Trümmer im Fluß ersehen lasse.


    Das führte zur Einreichung wunderbarer Bauzeichnerarbeit, sozusagen handgezeichneter Trümmerpläne:



    Wie der Prozess am Ende ausging, ist leider nicht feststellbar, die Akten brechen ab, man kann aber vermuten, dass die Parteien 1959, vielleicht auch erst 1960 einen Vergleich geschlossen haben, denn dokumentiert ist noch, dass der Senat die Parteien noch anfragte, ob sie sich denn einen Vergleich vorstellen könnten.


    Dass der amtliche Leitsatz die Störung des Eigentums gemäß § 1004 thematisiert, was im Prozess eigentlich gar keine Streitfrage war, darin waren sich alle drei Instanzen einig, kann man sich eigentlich nur so erklären, dass diese Frage in den Nachkriegsjahren unter Nachbarn häufig für Streit sorgte. Muss der Eigentümer einer zerbombten Hauses auch noch die Trümmer von Nachbars Grundstück räumen? Nein, muss er demnach nicht.


    Q: ISG Magistratsakten, Hafenbetriebe Sig. 410

    7 Mal editiert, zuletzt von tunnelklick () aus folgendem Grund: Rechtschreibung

  • Danke tunnelklick für dieses historische Stück Stadtgeschichte und den Fund des Trümmerplanes der Brücken.
    Ohne das Ganze zu off topic werden zu lassen: Hätte die Stadt mehr Erfolg auf Kostenerstattung bei einer Klage gegen die Wehrmacht bzw. ihrer Rechtsnachfolgerin gehabt?

  • Sehr interessante Zusammenstellung, danke dafür!
    Zu off topic: Da stellt sich die Frage, wer die Rechtsnachfolgerin der Wehrmacht hätte sein sollen? Die Bundesrepublik Deutschland? Die Bundeswehr gab es zu dem Zeitpunkt ja noch nicht, die wurde erst 1955 gegründet.

  • Die Bundesrepublik gab es zum Zeitpunkt der ersten Klage 1947 auch noch nicht. Da will man klagen und es gibt keinen zuständigen Gegner...

  • Die Stadt Frankfurt hätte auch niemals die deutsche Wehrmacht verklagen können, sondern immer nur das Deutsches Reich bzw. die Bundesrepublik Deutschland, die Wehrmacht war eine nicht rechtsfähige Verwaltungsgliederung des Reichs, so wie die Bundeswehr heute. Die Klage richtete sich gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Wasser- und Schifffahrtsamt Würzburg (bzw. Mainz), denn Rechtsträger nach Wasserrecht war und ist der Bund.


    Eine Entschädigung der Gebietskörperschaften für Kriegsschäden hat es m.W. nicht gegeben, nur den Lastenausgleich für Private, insofern dürfte der Prozess auch ein Unikat geblieben sein.


    Die Rechtsnachfolgefrage treibt die Verfassungsjuristen und Staatsrechtler bis heute um, ein komplexes Thema und man muss sich schon bemühen, genau hinzuschauen, um nicht auf Reichsbürgerniveau abzugleiten. Einen guten Überblick über die Diskussion und ihre Verästelungen bietet der Wikipedia-Artikel "Rechtslage Deutschlands nach 1945".