Sommer 1930, das Gewerkschaftshaus oder...

  • Sommer 1930, das Gewerkschaftshaus oder...

    ... die Nachbarklage als Mittel des Klassenkampfs.

    Das Gewerkschaftshaus war vielleicht nicht das erste Hochhaus in Frankfurt, aber es war das erste, um dessen Bau eine heftige nachbarrechtliche Auseinandersetzung vor Gericht ging. Es gibt zu diesem Fall nur wenige Primärquellen. Die vorhandenen Magistratsakten beleuchten nur einen baurechtlichen Teilaspekt, geben aber über den Rechtsstreit selbst keine Auskunft, weil das Bauamt nicht beteiligt war, Gerichtsakten existieren nicht mehr, so dass wir überhaupt um Einzelheiten nur wissen, weil der Fall publizistisch begleitet wurde, vor allem aus der Sphäre der Bauherrschaft, nachzulesen in der sozialdemokratischen VOLKSSTIMME. Der Ton war kämpferisch, ganz im Stil der Zeit, mit schrillen, plakativen Parolen und teils groben persönlichen Anfeindungen nicht sparend. Wir blicken zurück ins Jahr 1930, in die Zeit wenige Monate nach dem schwarzen Freitag, die Zeit der Brüning'schen Notverordnungen, knapp 6-8 Wochen vor der Reichstagswahl, bei der die NSDAP nach der SPD zur zweitstärksten Partei im Deutschen Reichstag aufstieg.


    1927 hatten die Gremien des ADGB beschlossen, ein neues Gewerkschaftshaus zu bauen, nachdem ihr 1901 gebautes Gewerkschaftshaus an der Allerheilgenstraße /Stoltzestraße/Am Schwimmbad (also ungefähr dort, wo heute die AOK steht) trotz mehrfacher Erweiterung zu klein geworden war. Die Arbeiterherberge GmbH wurde beauftragt ein geeignetes Grundstück zu suchen. In Betracht gezogen wurde das AOK-Gelände an der Stresemannallee, auf dem später das AEG-Hochhaus gebaut wurde, das Vogeldreieck, das Sigismund-Strauß-Gebäude am Rathenauplatz (= Börsenstraße 2-4/Biebergasse 14) und das absehbar frei werdende IG-Farben-Verwaltungsgebäude in der Gutleutstraße 8-12. Die angebotenen Gebäude kamen wegen zu hoher Umbaukosten nicht in Frage oder lagen verkehrsungünstig oder waren zu klein.


    Die Wahl fiel schließlich auf das 8.500 m² große Parkgrundstück zwischen Bürgerstraße und Untermainkai, Wiesenhüttenstraße und Baseler Straße. Es war Teil eines früheren Barockgartens, der nach der Reichsgründung im Zuge eines Grundstückstauschs aus städtischem Besitz ins Eigentum der Süddeutschen Immobiliengesellschaft AG gelangte; ihr gehörten große Flächen zwischen der Main-Neckar-Bahn und dem Untermainkai, darunter auch das vorgenannte Geviert. Diese Firma war eine Tochter der Darmstädter Bank für Handel und Industrie, die 1871, weil ihre Statuten Hypothekengeschäfte nicht zuließen, mehrere Tochterfirmen gründete, darunter die Süddeutsche Bodencreditbank AG (München) und die Süddeutsche Immobiliengesellschaft AG (Mainz). Während erstere eine klassische Hypothekenbank war, war die Süddeutsche Immobiliengesellschaft AG als „Terraingesellschaft“ in großem Stil an spekulativen Grundstücksgeschäften u.a. in Frankfurt beteiligt. Neben der Bethmann-Bank wesentlich beteiligt war Freiherr Theodor von Cramer-Klett (geb. 1817, gest. 1884), einer der führenden Pioniere der Industrialisierung in Bayern und zugleich ein bedeutender Finanzier von Eisenbahn- und Industriefirmen.


    Zu dieser Zeit mag das Gelände noch weitgehend so ausgesehen haben, wie es der Ravensteinplan von 1861 zeigt.


    1877 verkaufte die Süddeutsche Immobilien AG den fraglichen Teil ihres Terrains an den Weinhändler Franz Joseph Böhm. In diesem Kaufvertrag war festgelegt, dass auf dem Grundstück weder feuergefährliche, übelriechende oder sonstige die Nachbarn gefährdende Gebäudeteile errichtet werden können. Diese Verpflichtung musste der Käufer bei einem etwaigen Weiterverkauf an den Käufer übertragen. 1879 hat Böhm unter den gleichen Verpflichtungen das Grundstück an die Eheleute Philipp Holzmann weiterverkauft, die unter der Adresse Untermainkai 70 das vorhandene barocke Landhaus von Joh. Michael Frhr. von Loen aus dem Jahr 1742 erweiterten.



    Abb: Ravensteinplan von 1895, C: Stadtvermessungsamt Frankfurt a.M.


    Um 1900 herum waren einige Baugrundstücke in unmittelbarer Nachbarschaft am östlichen und südlichen Rand des Blocks bebaut worden, darunter die heute noch erhaltenen Villen Untermainkai 66 und Wiesenhüttenstraße 1. Die Erben des 1904 verstorbenen Philipp Holzmann jr. verkauften das zentrale Parkgrundstück Untermainkai 70 an den Bankier Carl Spaeth (war ab 1912 einige Jahre Vorstandsmitglied der Deutschen Bank), der den Holzmann'schen Park 1929 für 1,122 Mio RM an die Volkshaus GmbH veräußerte, wie die Arbeiterherberge GmbH inzwischen hieß; zu dieser Zeit war die Gegend zwar eher eine Randlage (die Bürgerstraße, heute Wilhelm-Leuschner-Straße war nicht durchgängig befahrbar, sie reichte nur bis zur Wiesenhütten- bzw. zur Mainluststraße, dazwischen lag der große Park der Familie de Bary, der erst dreißig Jahre später dem Bau des Hotels Intercontinental wich, doch für den Gewerkschaftsbund war neben der Größe des Bauplatzes vor allem die fußläufige Nähe zum Hauptbahnhof (500m) ein wichtiger Gesichtspunkt.


    Abb: Luftbild von 1927; C: Stadtvermessungsamt Frankfurt a.M.

    Planungsrechtlich lag das Baugrundstück in einem Wohnviertel der Inneren Zone (A) nach der Zonenbauordnung (Polizeiverordnung vom 8.4.1910, betr. das Bauen in der Außenstadt Frankfurt a.M.), welche dort eine maximale Geschosszahl von drei Obergeschossen plus Dachgeschoß und eine maximale Gebäudehöhe von 18 m erlaubte, eine maximale Bautiefe von 18 m hinter der Baufluchtlinie sowie eine von Bebauung freizuhaltende Grundstücksfläche von 4/10.




    blau = Geschäftsviertel, rot = gemischtes Viertel, Grün = Wohnviertel
    Abb.: Auszug aus dem Bauzonenplan, Anlage zur PolizeiVO vom 8.4.1910 betr. das Bauen in der Außenstadt, gemeinfrei


    Der Verkauf des Holzmann'schen Parks und die Bauabsichten der Volkshaus GmbH lösten sofort Besorgnis bei den Nachbarn aus. Der Konflikt eskalierte aber erst, als die Frankfurter Nachrichten am 30.3.1930 berichteten, eine Jury unter Vorsitz von Stadtbaurat Ernst May habe sich für den Entwurf von Bruno und Max Taut entschieden, der schon baureif vorlag. Nicht nur, dass es ein Hochhaus werden sollte, das zweite nach dem Mousonturm (1924), das störend in ein Wohngebiet gebaut werden sollte, mobilisierte alle Villennachbarn, sondern auch das ungeheure Bauvolumen von rd. 50.000 m³ umbautem Raum. Deren Bevollmächtigter, RA Dr. Hermann Rumpf, verfasste Ende Mai 1930 ein Protestschreiben an den Magistrat:


    „Die städtische Verwaltung darf nicht zulassen, daß historische und ästhetische Werte von solcher Bedeutung, wie sie hier auf dem Spiel stehen, ohne Not vernichtet werden. Es gehört zu den anerkannten Selbstverständlichkeiten, daß eine Großstadt soweit irgend möglich die hervorragenden Ansichten, also insbesondere die Uferansichten, in ihrer Charakteristik zu erhalten hat . (…) Dieses durch Gebäudemassen wie das geplante Gewerkschaftshaus zu übertönen, vernichtet das ästhetisch Charakteristische dieser Uferansicht.“ (zit. nach H. Schomann, Das Bahnhofsviertel)


    Auch Goethe mußte wieder ran: später im Prozess trug RA Rumpf vor, der Bauplatz habe „durch die Trauung von Goethes Eltern in dem früheren Gut des Freiherrn von Loen eine gewisse kulturhistorische Bedeutung gewonnen“ (zit. nach Volksstimme v. 16.7.1930)


    Was RA Rumpf mit Gebäudemassen meinte, verdeutlicht das Modell des Komplexes, das später in Wasmuths Monatsheften für Baukunst , Jg. 1931, S. 481 ff [482] abgebildet war; das Bauvorhaben hatte in der Tat mit den Vorgaben der Bauordnung nicht das Geringste zu tun, weshalb der Widerstand eigentlich niemanden verwundern durfte.



    c: public domain, gemeinfrei


    Die Volksstimme hielt dagegen:


    „Kampf um das Mainhotel / Wie ihn die Arbeiterfeinde führen


    Man nennt unsere Stadt zwar Frankfurt am Main, aber längst ist sie dem schönen Fluß untreu geworden. Frankfurts Herz schlägt in der Gegend der Hauptwache, Vater Moenus hat die Stadt den Rücken zugewandt. All die schwachen Versuche, das Mainufer zu beleben, sind im letzten Jahrzehnt ohne Erfolg geblieben.
    Wie anders liegen andere Städte an ihrem Fluß! Von dem Lichtermeer, das allabendlich Hamburg über die Alster gießt, den belebten schönen Uferstraßen Dresdens, wollen wir schweigen. Dort kann ein Frankfurter nur neiderfüllt wandeln. Aber wie hat Köln im letzten Dezenium sich wieder an den Rhein geschmiegt, wie hat das in schwerster Not sich windende Stettin sein Oderbild verschönt. Dunkel aber fließt allabendlich der Main durch seine Frankfurter Ufer, von denen die Menschen flüchten mit dem scheidenden Tag.
    Da hätte man nun meinen müssen, alle Frankfurter mit vaterstädtischem Gefühl hätten es mit Freuden begrüßt, daß die Gewerkschaften auf der Suche nach einem Bauplatz für das längst notwendig gewordene neue Gewerkschaftshaus einen Platz am Main erwählten. Insbesondere als ihre Neubaupläne bekannt wurden. Als jeder Mann wußte: nun soll am dunkelsten Teil des Mainufers ein schlichter, aber doch repräsentabler Zweckbau erstehen. Ein Bürohaus und ein Hotel, dessen Licht später auch Abendspaziergänge in dem wegen seiner Dunkelheit gemiedenen „Nizza“ ermöglicht und sich in den Wellen des Flusses spiegeln wird, die heute nach dem Sinken des Sonnenballs wie schwarze Tinte fließen.


    Zunächst schien es so, als freue man sich allgemein dieses Plans. Nicht nur in unseren Kreisen fand die Absicht der Gewerkschaften Beifall. Auch ein Teil der bürgerlichen Presse zollte Anerkennung. Am 27. August vorigen Jahres schrieben z.B. die „Frankfurter Nachrichten“ (Nr. 237) u.a. wörtlich: 'Man empfindet es geradezu als einen Glücksfall, daß die Baulücke durch einen Bauherrn geschlossen wird, dessen Programmforderung schon wirtschaftlich eine monumentale Gestaltung im Sinne des überkommenen Stadtbildes gestattet.' Und als kürzlich der Gartenrestaurationsbetrieb des Mainhotels eröffnet wurde, scholl wieder Beifallsklatschen aus den Spalten dieses gewiß nicht arbeiterfreundlichen Blattes, denn am Schluß einer Notiz der „Nachrichten“ am 28. Mai 1930 las man unter anderen anerkennenden Worten: 'Bei der Umgestaltung des Gartens ist verständnisvoll auf die bestehenden Anlagen aus alter Zeit Rücksicht genommen worden.' So schrieben die Goldknechte des Kapitals, als sie noch unbefangen urteilten. … (Volksstimme 16.7.1930)


    Das änderte sich jedoch alsbald.


    Am 2.6.1930 war Grundsteinlegung und Baubeginn für das Bürohochhaus an der Bürgerstraße – allerdings ohne Baugenehmigung; der zentrale Saalbau (das eigentliche Gewerkschaftshaus) und das am Untermainkai gelegene Mainhotel sollten danach hinzugefügt werden; die Bauherrschaft ließ sich zwar herab, zwei Wochen nach Baubeginn doch noch eine Baugenehmigung zu beantragen, war aber nicht geneigt, die Bauarbeiten bis zur Erteilung derselben ruhen zu lassen; was die Nachbarn als Provokation empfunden haben dürften, denn etwa um diese Zeit beantragten sie beim Landgericht in Frankfurt, der Volkshaus GmbH im Wege der Einstweiligen Verfügung weitere Bauarbeiten zu untersagen – was auch gelang. Anders als heute gewährte die Bauordnung nur dem Bauherrn Rechtsschutz gegen die Verwaltungsakte des Bauamtes, das Institut des verwaltungsrechtlichen Drittschutzes gab es noch nicht, erst unter der Geltung des Grundgesetzes und der neuen Verwaltungsgerichtsordnung waren verwaltungsrechtliche Nachbarklagen möglich geworden. Damals konnten die Anlieger gerichtlich nur im Zivilprozess gegen den Bauherrn wegen Störung ihrer Eigentumsrechte vorgehen.


    Begründet haben sie den Antrag zum einen damit, in den Grundbesitzverträgen der 70er Jahre sei eine Servitut bestellt worden (ein altmodischer Begriff für eine dingliches Recht, das aus den früheren Kaufverträgen zwischen der Stadt Frankfurt und der Süddeutschen Immobilien AG bzw. dem Weinhändler Böhm und den Eheleuten Holzmann hergeleitet wurde), welche die Bebauung des Grundstücks, zumindest in dieser Form untersage. Zum anderen beeinträchtige das Bauvorhaben insgesamt, insbesondere aber der Saalbau nebst den direkt an die Grundstückgrenze gesetzten Pissoirs und dem Restaurantbetrieb den Wert der angrenzenden Grundstücke, Lärm vom Tanzboden, Küchen- und Klosettgerüche beeinträchtigten die Nachbarn in unzumutbarer Weise. Die Volkshaus GmbH hielt dagegen, es gäbe kein Servitut, allenfalls schuldrechtliche, kaufvertragliche Bestimmungen, die aber nicht allgemeinverbindlich seien und die Umnutzung des Parks nicht hinderten. Das angebliche Villenviertel sei wegen der Geschäftshäuser an der Scharnhorststraße schon seit Jahren kein solches mehr und im Übrigen lasse die Bauordnung Ausnahmen im Allgemeinwohl zu; und ein Gewerkschaftshaus diene fraglos dem Allgemeinwohl; im Übrigen würden die Beeinträchtigungen der Nachbargrundstücke maßlos übertrieben.


    Ab diesem Zeitpunkt ließ die Volksstimme jede Zurückhaltung fallen und offenbarte ihr wahres Rechtsverständnis. Die Argumente der Kläger wurden als „gehässige Kampfesweise“ und als „verächtliche Hetzmethoden“ qualifiziert, die Bauordnung als Gerücht abgetan: „Eine Bauzonenordnung aus dem Jahre 1912, die trotz ihrer verhältnismäßigen Jugend so verstaubt zu sein scheint, daß sie bisher in keinem Aktenbündel gefunden wurde und bisher nur in der mündlichen Überlieferung der Besitzbürger dieses Viertels existiert, wurde ins Feld geführt“, um das Erfordernis einer Baugenehmigung als unnötige Förmelei abzutun, die Genossen in der Regierung hätten doch alles für gut befunden.


    Im Juli dann ging alles ganz schnell:


    Mit Urteil vom 8.7.1930 hat die 11. Zivilkammer eine Einstweilige Verfügung erlassen, wonach der Volkshaus GmbH die Bewirtschaftung des Gartens und die Benutzung der Klosettanlagen für den Gartenbetrieb untersagt wurde, den Weiterbau des Hochhauses und des Hotels hat das Gericht indessen nicht untersagt.


    Das hat dann aber die städtische Baupolizei getan, die nämlich am 18.7.1930 die Einstellung der Bauarbeiten angeordnet hat, trotz Ersuchen des Regierungspräsidenten in Wiesbaden, „mit Rücksicht auf die Lage des Arbeitsmarktes“ zu genehmigen und dem Hinweis des Gewerkschaftsausschusses an den „werten Genossen“ Bürgermeister Gräf , das Projekt sei bereits vom Preußischen Ministerium für Volkswohlfahrt endgültig genehmigt. Ein Gutachten der städtischen Amtsjuristen widerlegte zwar die Existenz eines Servituts, welches die Bebauung des Holzmann-Parks ausschließen sollte, aber anscheinend war das Bauvorhaben in der Verwaltung und im Magistrat so umstritten, dass die Baubehörde in Frankfurt nicht selbst entscheiden wollte, sondern sich von der Oberen Bauaufsichtsbehörde beim Regierungspräsidium in Wiesbaden anweisen ließ. Behördenleiter war damals Fritz Ehrler, ein langjähriger Gewerkschaftsfunktionär, zuvor 1919-1925 Polizeipräsident in Frankfurt und von 1925 bis zu seiner Amtsenthebung durch die Nazis 1933 Regierungspräsident in Wiesbaden; die Baugenehmigung wurde am 28.7.1930 erteilt. Es scheint, als schimmerte zu diesem Zeitpunkt schon der rote Filz durch, der die Frankfurter Baupolitik der Nachkriegszeit nachhaltig prägen sollte.


    Beide Parteien legten unverzüglich Berufung gegen das Urteil des Landgerichts ein, über die der 1. Ferienzivilsenat des OLG Frankfurt (damals gabs noch Gerichtsferien) am 24.7.1930 mündlich verhandelte und am 30.7.1930 urteilte:


    1. Die Berufung der Antragsgener gegen das Urteil der 11. Zivilkammer vom 8.7. wird zurückgewiesen.
    2. Auf die Berufung der Antragsteller wird das Urteil dahin abgeändert: den Antragsgegnern wird im Wege der einstweiligen Verfügung, bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Hauptprozeßes, bei Meidung der gesetzlichen Geld- oder Haftstrafen verboten, auf der Liegenschaft Untermainkai 70-76, sowohl auf der Liegenschaft Bürgerstraße 67, oder auf einem Teil der Liegenschaft eine Gartenbewirtschaftung zu betreiben oder betreiben zu lassen, die errichtete Abortanlage zu benutzen oder benutzen zu lassen, weiterhin in der Bürgerstraße einen Gebäudeteil, so wie er in einer Zeichnung, die bei der Baupolizei eingereicht wurde, vorgesehen ist, zu errichten, jedoch mit Ausnahme des nach der Bürgerstraße gelegenen Bürohochhauses.
    3. Die Kosten des Verfahrens werden je zur Hälfte den Antragsgegnern und Antragstellern auferlegt.
    zit. nach Volksstimme 30.7.1930


    Für den Senat stand fest, dass für das Baugrundstück kein Servitut, also keine dingliche Bau- oder Nutzungsbeschränkung bestehe, hingegen hielt er die nachbarrechtlichen Bestimmungen nach §§ 906 ff., 823 BGB für maßgeblich, auf deren Grundlage die Kläger den Eintrag unwägbarer Stoffe wie Geruch, Rauch und Lärm auf ihre Grundstücke abwehren könnten. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass in der Nähe andere Hotels bestünden.

    „Im vorliegenden Fall ist für das Stadtviertel, in dem der Gebäudekomplex errichtet werden soll, davon auszugehen, dass die Süddeutsche Immobiliengesellschaft das Bauland zu Wohnzwecken aufgeschlossen hat. Dieser Zweck ist von der Polizeiordnung 1910 aufgenommen und fortgeführt worden. Dieses Viertel ist also als ein Wohnviertel gekennzeichnet. Den Anwohnern ist eine ruhige Wohnlage gewährleistet. Die Verordnung hat bisher 20 Jahre unangefochten bestanden und es ist anzunehmen, dass sie dementsprechend auch ortsüblich ist. Ein Dispens kann nur erteilt werden, wenn es sich um eine gemeinnützige Sache handelt. Davon kann aber hier keine Rede sein, wenngleich ein großer Kreis von Interessenten hier beteiligt ist.“ (OLG Frankfurt, zit. nach Volksstimme vom 30.7.1930)


    Das allerdings gelte nur für den Saalbau und das Hotel, nicht aber für das Bürohaus, von dem keine Beeinträchtigungen ausgingen. Hinsichtlich der behaupteten Beeinträchtigungen hielt das Gericht die Glaubhaftmachungen der Antragsteller für ausreichend; es bleibe den Parteien unbenommen, die Einzelheiten im Hauptprozeß weiter zu klären. Da die Einstweilige Verfügung die Hauptsache nicht vorweg nehmen dürfe, könne es auch kein unbeschränktes Bauverbot geben, sondern nur ein vorläufiges für die Zeit bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache. Da die Volkshaus GmbH mit dem Saalbau und dem Mainhotel erst in absehbarer Zeit, mindestens aber in zwei Jahren zu rechnen sei, könnten ihr dadurch auch keine Rechtsnachteile entstehen - Baustopp also für Saalbau und Mainhotel, kein Baustopp für das Hochhaus.


    Die Reaktion fiel entsprechend aus: „Klassenurteil gegen die Gewerkschaften“ titelte die Volksstimme.

    „Das Gericht glaubt – es gesteht es in der Urteilsbegründung selbst zu – lediglich den Behauptungen der wohlhabenden Anlieger, die ein Haus, in dem Proleten verkehren, nicht in ihrem vornehmen Viertel haben möchten! So deutlich zu Gunsten der Besitzenden ist selten ein Urteil gefällt worden! Denn all diese Parteibehauptungen sind an den Haaren herbeigeholte, vage Befürchtungen, mit denen die Herrschaften nur ihre Animosität gegen die Nachbarschaft der Arbeiter verdecken möchten. Aber was die Leute mit dem großen Geldsack sagen, ist für das Gericht „glaubhaft“. „Rechtskräftige Entscheidung“ bleibt ja auch dem Hauptprozeß überlassen, falls die Behauptungen doch nicht ganz stimmen sollten. Inzwischen können ja die Arbeiter ihre Groschen in Zinszahlungen für ein Grundstück opfern, das sie bis zu dieser Entscheidung nicht nutzen können! - „Kleinen Leuten geht dabei leicht die Puste aus“, mögen sich nun die Anlieger denken. Das Gericht denkt daran selbstverständlich nicht! - Aber sein Urteil zeigt, wieviel noch in unserer Justiz zu reformieren ist, ehe von ihr Urteile zu erwarten sind, die in allen Fällen allgemeine Interessen anerkennen und vor den privaten Eigennutz stellen! In der Wahlzeit muß auch um diese innere Justizreform gekämpft werden!.“ (Volksstimme 30.7.1930)


    Schon anlässlich der mündlichen Verhandlung am 24.7.1930 hatte die Volksstimme ordentlich Stimmung gemacht:

    „Darf das Gewerkschaftshaus gebaut werden? Der deutschnationale Senatspräsident Dr. Heldmann wird als vorsitzender Richter darüber entscheiden!“

    „...Die Katze, die nicht aus dem Sack soll
    Weil die Beklagten (= Volkshaus GmbH, d.Verf.), im Bewußtsein ihres guten Rechts sich in ihrer Abwehr nur auf juristische Gründe stützen und der Öffentlichkeit die politischen Hintergründe der Aktion ihrer Gegner zu beurteilen überlassen, stellte nun zu Beginn seiner Ausführungen der zweite Vertreter der Kläger, Rechtsanwalt Katz, 'mit Genugtuung' fest, dass die Vertreter der Beklagten den Prozeß als rein bürgerlichen Rechtsstreit betrachteten, und dass nicht politische noch soziale Einstellungen hervortreten sollten und er erklärte namens der Kläger, dass die Anrufung des Gerichts in dieser Sache nur aus dem Motiv geschah, ihre Eigentumsrechte zu wahren. - Die Arbeiterschaft denkt darüber allerdings anders, wie dieser Anwalt im Interesse seiner Auftraggeber sprechen muß. Sie weiß, dass Feindschaft gegen ihr Aufstreben alleiniges Motiv der Kläger und alles andere nur Drumherumgerede ist, um eventuell einem Klassengericht die Möglichkeit zu geben, eine arbeiterfeindliche Entscheidung juristisch zu bemänteln! Diese Katz durfte allerdings Herr Katz nicht aus dem Sack lassen! …“
    (Volksstimme 24.7.1930)


    Soweit ersichtlich, ist der Hauptprozess entweder nicht mehr begonnen oder jedenfalls nicht zu Ende geführt worden, die Gründe sind nicht überliefert. Nach elf Monaten Bauzeit wurde das Hochhaus im August 1931 eingeweiht. Eineinhalb Jahre später, nach der Besetzung der Gewerkschaftshäuser am 2. Mai 1933, der Beschlagnahme und Enteignung ihres Vermögens, Eingliederung der Gewerkschaften in die Deutsche Arbeitsfront und Zwangsliquidation der Volkshaus GmbH war das Projekt jedenfalls politisch bis auf Weiteres erledigt. Das Vorhaben blieb in unvollendetem Zustand, wie er auf einem Foto in Wasmuths Monatsheften zu sehen ist, bis in die 60er Jahre.



    Abb. Wasmuths Monatshefte für Baukunst , Jg. 1931, S. 481 ff [488]
    Public Domain, gemeinfrei


    Nach dem Einmarsch der US-Truppen diente das Gewerkschaftshaus zunächst der Unterbringung amerikanischer Dienststellen, die es auf Beschluss des Alliierten Kontrollrats am 26.11.1946 räumten und den Gewerkschaften zur Nutzung übergaben. Die Rückübertragung des Eigentums erfolgte im Frühjahr 1947.



    die roten Schraffuren markieren die zerstörten Gebäude
    Abb: Stadtplan von Frankfurt 1947, C: Stadtvermessungsamt Frankfurt a.M.


    Den ganzen Artikel über das Frankfurter Gewerkschaftshaus kann man hier lesen:
    Wasmuths Monatshefte für Baukunst, 15. Jhrg., 1931, Heft 11/12, S. 481-541 [481-491]

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