Gute Reko - böse Reko (Grundsatzdebatte)

  • Gute Reko - böse Reko (Grundsatzdebatte)

    Hier mal ein Versuch, die in verschiedenen Themen evtl. deplazierten Grundsatzdebatten/Streits zum Thema Rekonstruktionen und deren Rechtfertigung und Leistungsfähigkeit an einem anderen Ort weiterzuführen.
    - Zum einen, da sie mich durchaus z.T. durchaus interessieren, zum anderen um vielleicht ein "Auffangbecken" für die immer wiederkehrenden Auseinandersetzungen zum Thema zu haben, ohne andere Threads weiter aufblähen zu müssen.
    Ob das Thema hier richtig platziert ist, wird sich denke ich zeigen, falls sich jemand beteiligt.


    Hier ein paar Punkte, die in den verschiedenen Threads oft eine Rolle spielen:

    • Bauausführung bei Rekos - Fassade und Statik
    • Kritische Rekos wo und wie?
    • Rekos und ihr Zeitgenössisches Umfeld
    • Rekos und Städtebauliche Umsetzung
    • Rekos als Identifikationsfaktor


    Werde zu den einzelnen Punkten natürlich auch noch was schreiben - falls in der Zwischenzeit jemand was dazu schreiben oder die Liste erweitern möchte, würde ich mich freuen.

  • 6. Rekos als Beleg für das Versagen der Moderne
    7. Rekos als Beleg für das Versagen der Kritiker der Moderne*




    __________


    * ... angemessene Antworten auf die heutigen Probleme zu finden, die über das Wiederbeleben eines verklärten Zustandes aus der Zeit des am besten erhaltenen historischen Postkartenmotives hinausgehen

  • Qualität der Rekonstruktion und der Vergleich mit dem Original. Soll heißen, werden nur bestimmte Elemente kopiert oder möglichst vollständiges Nachahmen.


    Kosten und Nutzen, ist der eventuelle Gewinn an kopierten Sehenswürdigkeiten mit den zu erwartenen Kosten zu vereinbaren.

  • da fällt mir aber auch ein:


    8. Reko als Ausdruck des herrschenden konservativen Zeitgeistes



    zu 1) nicht unbedingt als eigener Punkt: moderne Brandschutzvorschriften, Raumhöhen, Vorschriften über Treppenneigung/Stufenlänge

  • Ok, denn mal los:


    Die Punkte, die nichts mit konkreten baurechtlichen oder rein bautechnischen Fragen zu tun haben, drehen sich alle zunächst
    mal um die grundsätzliche Motivation für die Rekonstruktion eines am gegebenen Ort nicht mehr oder nur noch rudimentär vor-
    handenen Bauwerks. Die hier im Forum und auch in anderen öffentlichen Debatten geäußerten Meinungen/Argumente, die aus-
    schließlich als Pro-Reko-Argumente funktionieren, lassen sich vielleicht wie folgt zusammenfassen:


    -) Rekonstruktion als Chance, nicht mehr zeitgenössisch (wobei Reko selbst in diesem Fall nicht das Label "zeitgenössisch"
    trüge) bauen zu müssen, das führt zu:
    -) alle Bauten, die außer der jeweilig bevorzugten Reko am selben Ort stehen könnten, hätten nicht dasselbe Recht eben dort zu
    stehen, genauso wie:
    -) alle Bauten, die Altbauten der jeweilig bevorzugten Epoche ersetzen haben ebenfalls nicht dieses Recht. Begründen lässt sich
    dies durch:
    -) die Bauten der jeweilig bevorzugten Epoche waren schöner/besser ausgeführt/standen für verlorene Werte, die so wiederbelebt
    werden sollen/erfüllten ihre Funktion besser, oder etwas pragmatischer:
    -) die Bauten der jeweilig bevorzugten Epoche gehören zum jeweiligen Genius Loci, der durch Rekos wiederbelebt werden muss,
    u.a. deshalb:
    -) sind sie eine von Einwohnern (Stichwort "Identität" oder eigentlich richtiger "Identifikation") und Besuchern begrüßte Maßnahme
    und damit auch:
    -) ein Wirtschaftsfaktor (Tourismus)


    Die Kontra-Reko-Argumente funktionieren ähnlich, aber mit anderen Vorzeichen, zu erwähnen sind hier im Besonderen:


    -) die Bestandsbauten gehören zum jeweiligen Genius Loci, der durch Rekos verfälscht wird, was sich verknüpfen lässt mit:
    -) Rekos nehmen der zeitgenössischen Architektur (wobei Reko natürlich auch in diesem Fall nicht das Label "zeitgenössisch"
    trüge) ihren rechtmäßigen Platz, da:
    -) heute mit anderen Mitteln andere Gebäude gebaut werden können, genauso wie man zuvor Gebäude mit den Mitteln ihrer Zeit
    baute - die Argumentation zeitgenössisch = zeitgemäß erfährt Unterstützung durch:
    -) Nicht-Rekos sind billiger und funktioneller und damit schließlich auch:
    -) ein Wirtschaftsfaktor (günstige und verfügbare Flächen)


    (Falls hier jemand was ergänzen möchte, ist er natürlich willkommen.)


    Eingedenk dessen mal ein paar Schnellschüsse zu #1 - #3:


    @AEG/zu 6. und 7.:
    Wenn wir 6. als Versagen der Kritiker der "Nicht-Moderne" oder "Außermoderne" ;) umformulieren, wäre die gebaute Reko neben
    der gebauten Reko wohl am ehesten Ausdruck des Versagens beider - das ist die idealistische Sichtweise.
    Dass der Wunsch nach Rekos nun stärker ins öffentliche Bewusstsein tritt, wird sicher vom wenig geglückten Städtebau der 60er
    70er begünstigt, mit dem eben auch die damals dominierenden Baustile assoziiert werden - was auch in der Theorie gar nicht mal
    so verkehrt sein dürfte. Dass die oft mäßige Bauausführung dieser Zeit (wobei das ja eher die 50er treffen sollte) ebenfalls in das
    Meinungsbild einfließt, ist dann allerdings nicht mehr sauber aber wohl Fakt.
    Insofern die gebaute Reko als Realisierung dieses Wunsches gilt, muss man sie so ernst nehmen wie alles andere, was irgend-
    wann mal als Ersatz für etwas anderes gebaut wurde. In dieser Sichtweise macht es allerdings eigentlich nur noch bedingt Sinn,
    Rekos als etwas besonderes abgrenzen zu wollen.
    Als Beleg für das argumentative Versagen der Kritiker der Moderne kann man Rekos natürlich sehen, wenn man es denn als
    solches Versagen sieht und wenn man nur die Motivation für den Bau als Maßstab für dessen Wirkung und Funktion anlegt, was
    vielleicht etwas zu kurz gesprungen sein könnte.
    (Argumentatives Versagen der Kritiker der Moderne würde ich es allerdings unterstellen, wenn man den Wunsch nach Rekos als aus
    einer "unverdorbenen" Zeit herrührenden Wunsch nach "wahrer" Schönheit oder dergleichen sähe - die genuin zeitgenössichen Ele-
    mente in solchen Bewegungen zu verkennen/verkennen zu wollen ist schlicht unlauter, mindestens aber unreflektiert.)


    @wmeinhart/zu 8.:
    In Teilen sicher so. Der Ruf nach Rekos als Botschafter einer besseren alten Zeit mag ein weitgehendes Unbehagen gegenüber der
    eigenen Zeit ausdrücken, das einzige Argument wird das aber kaum sein (s.o.). Ob es ein tragendes ist, ist eine weitgehende aber
    spannende Frage...


    So, muss das jetzt leider mal unterbrechen ohne necrokatz und mir selbst antworten zu können - das kommt aber auch noch.

  • Ich habe ein paar Schwierigkeiten, Dir zu folgen, sorry! Was bedeutet z. B. "die gebaute Reko neben der gebauten Reko" ?



    6. Das Versagen der Moderne (wobei das begrifflich nicht ganz hinreichend ist, allerdings dem Sprachgebruch der Kritiker entspricht) besteht ja darin, dass sie es trotz ihres Anspruches, trotz hervorragender Einzelleistungen und trotz der Orientierung an den Bedürfnissen der 'Masse' sowie deren weitgehende formelle Befriedigung verfehlt hat, die Akzeptanz breiter Schichten zu erlangen (bzw. wurde diese verspielt). Ob die Ursachen dafür tatsächlich architektonischer und städtebaulicher Natur sind oder ob es sich dabei um einen Nebenschauplatz allgemeiner gesellschaftlicher Konflikte, des ungeübten Umgangs mit Meinungsfeiheit, des steten Wertewandels und damit um simple 'Mode'-Zyklen handelt, die gerade mal auf Retro stehen, und in wie weit die jeweilige Kritik sachlich berechtigt ist, kann ein Thema dieses Threads sein.



    7. Den hatte ich ja in einer Fußnote bereits näher erläutert. Nochmal detaillierter: Sofern der Bestand aus der (nach-)modernen Ära Anlass zur Kritik gibt, wird stets die Wiederherstellung eines konsensualen vormaligen Ist-Zustandes gefordert. Es hat jeweils der Zustand die besten Chancen, der wegen des zeitlichen Abstandes, wegen der quantitativ höchsten Schmuckdichte und wegen der unverfänglichsten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (jedenfalls der kolportierten) das größte Verklärungs-Potential besitzt. Dabei stehen die heutigen Anforderungen, die finanziellen, technischen, politischen und sonstigen Bedingungen oft in krassem Widerspruch zur Rekonstruktion zahlreicher Bauten. Dieser Konflikt wird von den Kritikern der Moderne einseitig zu Gunsten des impliziten Wohlbefindens an Orten mit historischen Fassaden verdrängt, obwohl letztlich auch sie von den möglichen negativen Auswirkungen solcher Entwicklungen betroffen sind. Versagen deshalb, weil es den heute Lebenden im Gegensatz zu ihren Vorfahren und trotz der vehementen Kritik am Ist-Zustand nicht gelingt, mindestens eine allgemeingültige Sprache zu finden, die allen Erfordernissen weitestgehend gerecht wird. Warum darf am ehemaligen Standort eines Fachwerkhauses mit den Maßen x×y×z und der Fassade Sowieso auch nur über die Wiedererrichtung des Gleichen nachgedacht werden? Ist die Imitation von Bauten aus einer anderen Zeit (oder von einem anderen Ort; Stichwort Hochhaus) die Kapitulation vor der Bewältigung der tatsächlichen Bedürnisse?

  • Es hat jeweils der Zustand die besten Chancen, der wegen des zeitlichen Abstandes, wegen der quantitativ höchsten Schmuckdichte und wegen der unverfänglichsten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (jedenfalls der kolportierten) das größte Verklärungs-Potential besitzt. Dabei stehen die heutigen Anforderungen, die finanziellen, technischen, politischen und sonstigen Bedingungen oft in krassem Widerspruch zur Rekonstruktion zahlreicher Bauten.


    Hä? Etwa die WirtschaftsWoche schreibt ab und zu über die Bedeutung der visuellen Eindrücke beim Shoppen - etwa im Jahr 1999 im Special Zurück in die City (oder so ähnlich), wo auch die Bedeutung der historischen Umgebung betont wurde. Diese wird immer wieder erwähnt - stets die gleichen Kästchen mit stets den gleichen Filialen können ja keinen locken. Haben die Herren Architekten etwas gegen die Kompetenz der WirtschaftsWoche in den wirtschaftlichen Fragen einzuwenden? :D (Ich verrate es gleich: Meine zweite Fakultät war Informatik+Management, in der Diplomarbeit habe ich mich u.a. mit den betriebswirtschaftlichen Computersimulationen beschäftigt).


    BTW: Ist das nicht eine schöne Altstadt? Im Krieg wurde sie fast vollständig zerstört und ohne unnötige überlange Diskussionen wie selbstverständlich wiederaufgebaut - heute gehört sie zum UNESCO-Welterbe (s. hier).


    ------------------------


    Nachtrag: Wenn ich mich richtig erinnere, die Immobilien Zeitung hat im Januar 2008 in der Printausgabe historische Städte wie Hildesheim und Heidelberg mit ähnlich großen anderen wie Ludwigshafen verglichen - und als belegt festgestellt, dass die Entwicklung der Mieten und der Immobilienwerte in den historischen Städten wesentlich besser verläuft. Dabei - Hildesheim wurde nach dem Krieg zum großen Teil wiederaufgebaut - darunter der Dom, der ebenfalls zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, das Knochenhaueramtshaus und viele weitere Fachwerkhäuser am Marktplatz (siehe hier).

  • AeG:
    Sorry, muss natürlich heißen: "Gebaute Reko neben modernem/postmodernem Bestand/Neubau" - war wohl doch zu spät gestern.


    EDIT:
    Nur noch kurz:
    Eigentlich sollte dabei rauskommen, dass es nur Sinn macht Rekonstruktionen ausschließlich zu fordern oder ausschließlich abzulehnen, wenn man das in den jeweiligen Begründungszusammenhängen schon einbaut.
    Die Konsequenz würden dann in diesem Fall lauten, dass eben niemals rekonstruiert werden darf, weil die jeweilige Zeit immer ihre eigenen Mittel zur Verfügung hat - in jenem Fall dürfte eben nie an Stelle von etwas "Altem" etwas anderes gebaut werden, weil das "Alte" immer Vorrecht vor dem "Neuen" besäße.
    Der Begriff der Rekonstruktion wird hier allerdings halt schon sehr nebulös als Synonym für jeweils das Gebäude gebraucht, das man eben wieder haben will - oder das von Seiten der Gegner eben nicht wiedererstehen soll.


    Dass die ganze Debatte wesentlich von Faktoren bestimmt wird, die im Kern gar nichts mit architektonischen und stadtplanerischen Fragen zu tun haben (worauf Deine und auch meine Kritik ja rauslaufen dürfte), ist sicher auch Thema dieses Threads - aber erst wenn ich wieder Zeit habe, mehr und geordneter zu schreiben ;).

  • Bewacher,


    komm mal wieder auf den Teppich! Du scheinst Dich ja bereits persönlich angegriffen zu fühlen, ohne das die Debatte überhaupt begonnen hat. Und wenn Du an einer ernsthaften Debatte interessiert bist, dann solltest Du Dir schon mal abgewöhnen, irgendwelche "Herren Architekten" für die Entstehung anonymer Shoppingmalls verantwortlich zu machen!


    Dass die Immobilienwirtschaft von der derzeitigen Entwicklung Richtung Rekonstruktion profitiert und dass sich viele in historischen Umgebungen wohler fühlen, als in den üblichen Shopping-Kästen mit den immer gleichen Filialisten, habe ich nicht bestritten. Es könnte aber durchaus sein, dass die positive wirtschaftliche Entwicklung eng daran geknüpft ist, dass es sich bei rekonstruierten Altstädten eher um die Ausnahme, als um die Regel handelt. Wenn es nur diese Altstädte gäbe, würde das den Immobilienmarkt mglw. wieder völlig anders aussehen lassen. U. a. würden sich dann auch die üblichen Handelsketten dort niederlassen müssen und der Verdrängungskampf begänne auf einer anderen Ebene von vorne. Bisher ist noch nicht einmal geklärt, ob historische Altstädte auch für sich genommen, oder nur als Antithese zu neueren Fehlentwicklungen funktionieren. Ein impliziertes autoarkes Funktionieren der Altstädte wirft dann nämlich die Frage auf, warum dieser Weg, der auch damals schon einem kontinuierlichen Entwicklungsprozess unterlag, ohne Not verlassen wurde.


    Ausserdem erklären die nachvollziehbaren Bedürfnisse nach Dichte, nach Kleinteiligkeit, nach Abwechslungsreichtum der Fassaden oder nach interessantem Nutzungsmix nicht hinreichend, weshalb ausgerechnet ein vormals realer Zustand weitestgehend detailgetreu wiederhergestellt werden soll. Der Geruch der Geschichte kann es ja kaum sein, denn aus dem Boden gestampfte Attrappen riechen nicht! Hängt das vielleicht mit der Ungeduld oder dem Egoismus zusammen, das Entstehen einer eigenen Geschichte aus dem Jetzt nicht abwarten zu können und deren Erfahrbarkeit nicht kommenden Generationen überlassen zu wollen (womit ich nicht das Altern von gesichtslosen Kommerzpalasten meine)? Wo steht geschrieben, dass der letzte bekannte Zustand der Altstädte von damals für alle Zeit das Optimum bei der Befriedigung der vielfältgsten Bedürfnisse sein wird?


    Das Thema Warschauer Altstadt wurde übrigens hier http://www.deutsches-architekt…wthread.php?t=6808&page=7 ab Beitrag #273 vor kurzem mal angerissen. Keine Frage, das ist eine herausragende Wiederaufbauleistung gewesen. Aber es wird auch Gründe gegeben haben, weshalb sich dieses Modell nicht als einziges durchgesetzt hat, vermutlich gerade solche, die sonst die Haupthemen von Handelsblatt und Wirschaftswoche sind ;). Und das Weltkulturerbe- Argument zieht hier leider auch nicht. Das wird nämlich nicht fürs 'Schöner Shoppen' vergeben, sondern für besondere kulturelle Leistungen, hier den Wiederaufbau im großen Stil betreffend. Das hier: http://www.deutsches-architekt…rum/showthread.php?t=7511 , was die ehemalige Altstadt großflächig ersetzte, gehört auch zum Unesco-Weltkulturerbe - dürfte aber für die Rekofreunde ein Schlag ins Gesicht sein.

  • Tatsächlich muss man die Glocke nicht so hoch hängen. Rekos kamen immer mal schon vor - auch vor dem Krieg. In meiner Stadt Hannover wurden schon vor dem Krieg Häuser abgebrochen - ein anderer hat sie später an anderer Stelle wieder rekonstruiert. Im 19. Jh. gab es dann eine Begeisterung für dörflich Architektur - also wurden dörfliche Strukturen rekonstruiert (Mühle, Dorfhaus und so).


    Heute ist das Verlangen nur etwas größer: der Krieg hat einfach zu viel genommen. Zudem muss ich mittlerweile sagen: Was haben Glasklötze mit Flachdach mit Architektur zu tun? Wo bleibt das Regionaltypische (für Hannover: Wo ist mein roter Backstein?)


    Da muss man sich nicht wundern. Für mich ein hausgemachtes Problem eines Berufsstandes, der die Bedürfnisse des normalen Menschen nicht zu verstehen vermag.

  • Du hast schon recht, mit der Verdrängung von regionalen Traditionen ging auch ein Stück der baulichen Identifizierbarkeit mit dem eigenen Ort verloren. Das ist sicher auch der Internationalisierung zuzuschreiben. Allerdings sind z. B. in Thailand ausländsche Investoren strikt angewiesen, regionale Stilelemente aufzugreifen (das ist dort einer der wichtigsten Punkte bei der Erteilung einer Baugenehmigung).


    Andererseits identifiziert man sich nicht nur über den Ort, sondern auch über die Zeit, in der man lebt. Die Rekonstruktion eines Fachwerkhauses schafft es aber nicht, dem Betrachter eine Welt von erfolgreichen Zimmermännern vorzugaukeln. Viele der importieren Traditionen liegen ja auch in der Verantwortung der 'demokratischen Basis'. Ob pompöser Chinapavillion, Finn-und Almhütten in brandenburgischen oder Backstein und nordische Holzhäuser in bayerischen Wohnparks, das alles geht heute vorrangig von 'unten' aus. Man identizfiziert sich selbst mit seinem Bau auf Kosten der anderen, die dann die Stil-Konglomerate ertragen dürfen.


    Man muss aber auch festhalten, dass beinahe sämtliche abendländischen historischen Epochen ihren Ursprung in der griechischen Antike, im alten Rom oder im byzantinischen Raum haben und lediglich regional leicht variiert wurden. Fachwerkbauten mögen, wie die Gotik auch, eine Ausnahme darstellen, allerdings sind die ja expliziten Notwendigkeiten entsprungen, die heute in der Form nicht mehr existieren.


    Möglicherweise ist es die enorme Schnelllebigkeit und der damit verbundene hohe moralische Verschleiß, den uns das Informations- und Mobilitätszeitalter bescheren, die neben der internationalen Verflechtung und der Spezialisierung der Gebäudetypen und Konstruktionen dafür sorgt, dass keine Zeit mehr für die Etablierung (bzw. Beibehaltung) regionaler Bautraditionen bleibt.

  • "Die Rekonstruktion eines Fachwerkhauses schafft es aber nicht, dem Betrachter eine Welt von erfolgreichen Zimmermännern vorzugaukeln."


    Meinst du jetzt vom handwerklichen Äußeren her oder von den Bewohnern? Wenn man eine originalgetreue Fachwerkreko sieht und die ganzen Schnitzereien oder Malereien, dann kann man sich doch auch denken "Mensch, und sowas habe die damals schon hinbekommen!" oder so, auch wenn man weiß, dass es nicht aus dieser Zeit stammt...Und auch in originalen Fachwerkhäusern wohnen heute keiner Zimmermänner mehr, wie im Mittelalter. Trotzdem stehen sie noch und werden als schön empfunden. Der eine legt eben eher darauf Wert, durch ein als "idyllisch" Fachwerkviertel empfundenes zu spazieren, wenn es auch nicht das Original ist. Der andere bevorzugt ein "spannendes" Neubauviertel mit Hochhäusern.


    "Man identizfiziert sich selbst mit seinem Bau auf Kosten der anderen, die dann die Stil-Konglomerate ertragen dürfen."


    Aber das ist ja nicht nur bei Almhütten am Nordseestrand so. Bei Glasbauten auf der Museumsinsel ist es doch auch so, nur andersrum...Und die fallen ja wohl weitaus mehr auf.


    "Fachwerkbauten mögen, wie die Gotik auch, eine Ausnahme darstellen, allerdings sind die ja expliziten Notwendigkeiten entsprungen, die heute in der Form nicht mehr existieren."


    Wenn es mir gefällt, wieso sollte ich mein (Privat-)Haus nicht im Fachwerkstil gestalten "dürfen", wenn auch keine Notwendigkeit für diese Bauweise mehr besteht? OK, zwischen Hochhäusern würde es vielleicht etwas lächerlich wirken, genauso, wie es andersrumder Fall wär, was dann aber aus Sicht vieler natürlich kein Problem ist, weil ja Kontraste so spannend sind.


    "Möglicherweise ist es die enorme Schnelllebigkeit und der damit verbundene hohe moralische Verschleiß, (...) dass keine Zeit mehr für die Etablierung (bzw. Beibehaltung) regionaler Bautraditionen bleibt."


    Wenn es in Thailand geht, wieso nicht auch hier - wenn man wollte:rolleyes:...

  • Ben, ich glaube, Du hast hier vieles aus dem Zusammenhang gerissen. Meine Beispiele von deplatzierten Stilen bei Häuslebauern sollten ja gerade aufzeigen, dass die mangelnden Identifikationsmöglichkeiten, die aus der heutigen Beliebigkeit resultieren, nicht nur von irgendwelchen austauschbaren Investorenklötzen rühren. Klar kann im Prinzip jeder bauen, wie er mag (oder es zumindest beantragen). Aber dann greift das Identifikationsproblem eben nicht nur bei Glaskästen auf der Grünen Wiese ;).


    Zur Rekonstruktion von Fachwerkbauten (oder hast Du damit bestehende Originale gemeint? klingt fast so). Ich glaube eben nicht, dass sie einem das Bild von fleißigen Zimmerleuten vorspiegeln. Sie werden ja nicht gebaut, weil sie das jeweilige technologisch und/oder ökonomisch Angemessene darstellen und weil es einen Haufen Handwerker gibt, die diesen Job beherrschen. Sie werden vorrangig errichtet, damit Passanten sich an alter Schönheit erfreuen, damit das Tourismus-Marketing angekurbelt wird und vor allem, damit potente Mieter eine repräsentative Location anzubieten haben. Die notwendigen kunstfertigen und bezahlbaren Handwerker müssen mühsam zusammengesucht werden (vermutlich in Polen o. ä.). Für die Fassaden liegen dutzende Ausnahmegenehmigungen vor, die ein 'normaler' Investor für die wünschenswerte Attraktivitätssteigerung eines zeitgenössischen Baus kaum bekäme. Und hinter den Fassaden ist's komplett vorbei. Der schöne Schein reicht meist nur für das Sichtbare. Der Rest muss sich am Portemonnaie, an neuzeitlichen Verordnungen (schon mal jemand im wiedererrichteten Cranach-Haus in Wittenberg gewesen?) und an den Nutzerwünschen orientieren. Ich jedenfalls denke beim Anblick einer solchen Rekonstruktion an alles Mögliche, nur nicht an ein mit 'ehrlichen' Mitteln errichtetes, würdevolles historisches Bauwerk.


    Warum das in Thailand funktioniert, weiß ich nicht. Vielleicht funktioniert's ja gar nicht ;)? Ich mutmaße aber mal, dass es dort eine viel höhere Nachfrage gibt und man sich solche Verordnungen deshalb eher leisten kann als hierzulande. Thailand ist auch eine Monarchie in einem gänzlich anderen Kulturkreis. In Deutschland - das ja auch in sich schon sehr großen regionalen Unterschieden unterworfen ist - hätte man wahrscheinlich sofort tausende Verfechter für die Meinungsfeiheit an der Backe, würde man ähnlich restriktive Vorgaben erlassen wollen (und mit der Historie tun wir uns eh besonders schwer, hier gelten ja bereits die etwas grobschlächtigeren Spielarten des Neoklassizismus als "faschistische Architektur"). Ausserdem bedeutet der thailändische Weg des Aufgreifens von Stilelementen nicht automatisch, dass dort nur historische Bauerndörfer oder Altstädte simuliert werden.

  • Es muss mal mit diesem APH- Ammenmärchen aufgeräumt werden:
    Die Rekonstruktionen in Polen sind seit dem 19. Jahrhundert nationalistisch und politisch motiviert. Es gibt genügend alte ehemalige protestantische Kirchen die zerfallen und eben nicht rekonstruiert werden. Auch das Abschlagen von bestimmten Stilelementen ist sicherlich nicht vorbildlich!


    Zu diesem Thema enpfehle ich den Aufsatz von
    Tadeusz Jozef Zuchowski "Der Wiederaufbau der Bauakademie. Bemerkungen eines Außensaiters" erschienen in " Mythos Bauakademie" herausgegeben vom Förderverein Bauakademie beim Verlag für Bauwesen; Berlin, 1997.

  • "Zur Rekonstruktion von Fachwerkbauten (oder hast Du damit bestehende Originale gemeint? klingt fast so)."


    Welche Absatz meinst du jetzt? Ich rede ja 2x von Fachwerkhäuser und beide mal von alten und neuen...Und es müssen ja keine Fachwerkäuser sein.


    Dass es hier keine Fachkräfte mehr gibt, dürfte wohl an der Nachfrage liegen. Aber das ließe sich ja bestimmt ändern, oder? Und in den berliner und potsdamer Zeitungsartikeln liest man sehr oft, dass etwas von einer berliner/brandenburger Firma geschnitzt, gegossen oder gemeißelt wurde bzw. werden wird. Schließlich hat man ja früher auch schon ausländ. Arbeiter geholt, weil man eine bestimmt Sache hier nicht beherrschte, so z.B. die Holländer nach Potsdam, weil diese die "Kunst" der Trockenlegung von Bauland eher beherrsschten, als die Preußen zu der Zeit. Und sowas ändert ja nichts am Endprodukt.


    In Wohnhäuser kann außer den Anwohnern und deren Gästen eh keiner rein. Was hat es also den Passanten zu kümmern, ob die hist. Raumfolge etc. nun wiederhergestellt wurde oder nicht? Auch einige Originale in hist. Innenstädte wurden inzw. im Inneren umgebaut oder sogar entkernt, damit sie den modernen Anforderungen entsprechen (Bad, Küche etc.). Und ob nun Rigipswände hinter einer simplen modernen Sandsteinplattenfassade oder der hist./reko. Fassade eines "Haus zum x'ende Y" stehen; das ganze ändert nichts am Gesamtbild einer Straße, worum es den Rekobefürwortern ja mitunter geht und wovon die Atmospäre einer Straße ausgeht. Den Leuten dürfte/sollte sowieso klar sein, dass diese Häuser - Original wie Reko - keine Zünfte usw. mehr beherbergen, auch wenn sie noch so heißen. Bei nem Museumshaus, wo jeder rein kann und welches das Leben (in) einer bestimmten Person, Epoche oder Gegend wiederspiegeln soll, ist das natürlich was anderes.


    Nenn' es Disneyland, aber solange es zahlungsbereite Mieter gibt, die Ein-/Anwohner es positiv aufnehmen und dadurch auch noch der Tourismus angekurbelt wird, sehe ich daran nichts verwerfliches.


    Wie das in Mailand abläuft, weiß ich auch nicht. Dachte du wüsstest mehr. Aber ist ja, wie du schon sagst, auch nicht vergleichbar wg. anderer Kultur etc.

  • hier noch,


    10. Rekos als Objekt für den Investor, als Investition aus wirtschaftlichen Gründen.
    11. Rekos für den Eigenbedarf. Bedürfnis des Einzelnen in einem historischen Gebäude zu wohnen. Zum Beispiel zerstörtes Elternhaus oder einfach das ersehnte Wohnumfeld.



    zu 5) "Identität" und "Identifikation" was immer sich dahinter alles verbirgt. Auch mit Sicht auf das Selbstverständnis einer Stadt, sowie in Verbindung mit dem jeweiligen kulturellem Wert und den Bedürfnissen der Bürger im jeweils vorkommenden Fall.
    Für mich, von allen bisher genannten Punkten, die einzige, wirklich befriedigende Annäherung an eine Reko.
    Darüber hinaus haben Rekos aus wirtschaftlichen Gründen, sowie als "Eigenheim" natürlich genauso ihre Berechtigung wie moderne Gebäude.


    Rekos nur aus Prinzipiellen Erwägungen heraus oder rein nur als Beleg für einen geschichtlichen oder kulturellen Vorgang lehne ich ab, da zu theoretisch, da sich die Akzeptanz nicht unbedingt ergeben muss.


    Rekos sind "eine" Möglichkeit, den Bauherren eine Alternative anzubieten, wenn diesem moderne Bauten, oder die angebotenen neuen Formen, einfach nicht gefallen wollen. Auch sollte der Architekt den Bauherren Häuser mit abgewandelten historischen Stilelementen in geschmackvoller Kombination als Neubau, anbieten.
    Es sollten sich Architekten finden, die versuchen, an die abrupt unterbrochene Baukultur vor ca. 1930 mit neueren Elementen, anzuknüpfen, quasi als Architektur-Nische und nicht alles Historische in der Architektur radikal verlassen.
    Ohne das jetzt genau und wissenschaftlich zu definieren. Die "Moderne", mit Bauhaus, Ludwig Mies van der Rohe, Peter Behrens, Walter Gropius, Bruno und Max Taut, Le Corbusier, Pierre Jeanneret etc. haben die "schöne" Baukultur getötet.
    Und zwar mit nicht immer ganz ehrenhaften Motiven unterlegt. Leider ist dann fast die gesamte Architektenfamilie darauf abgefahren. Überwiegend auch aus wirtschaftlichen Gründen. Sogar der vermögende Bauherr hat sich nicht mehr gewagt an die Historie angeknüpft zu bauen, so er das noch im Einzelfall wollte.


    Ein "Recht" der Bürger auf Reko sehe ich da, wo durch die Besonderheit der Location, der Umstände und dem Ausmaß der Zerstörung, andere Interessen zurückgestellt werden müssen.


    Gerade Rekos, im Gegensatz zu Restaurierungen/Renovierungen) sollten immer so originalgetreu wie irgend möglich sein, wenn es die jeweilige Nutzung zulässt. Damit optimale Authentizität besteht.


    Bei der Bauausführung muss man selbstverständlich das heutige Materialwissen und die heutige Technik einsetzen, damit zum Beispiel das Gebäude nachhaltig bestehen kann, soweit möglich, ohne dabei die Originalität zu verlassen.


    Moderne Bauvorschriften sind bei Rekos sowie bei Restaurierungen/Renovierungen von historischen Gebäuden im jeweils geprüften Einzelfall einzuschränken (Treppenneigung/Stufenlänge). Brandschutzmaßnahmen sind kreativ umzuwandeln oder anzupassen. Das sollte technisch kein großes Problem sein.

  • Vorsicht: Text!

    die abrupt unterbrochene Baukultur vor ca. 1930


    Einspruch! Die 'Baukultur' wurde nicht abrupt unterbrochen, auch wenn sich das wunderbar in die Verklärung der "guten alten Zeit" einbinden lässt ;). Das kann man vielleicht hierzulande so wahrnehmen, da a) während der Gründerjahre drei größere Spekulationsblasen platzten, wovon die Letzte zu einem Einbruch der Neubau-Zahlen ab etwa 1908 führte, da b) das Bauen zwischen 1914 und 1918 aus bekannten Gründen dann fast völlig zum erliegen kam und sich im Anschluss erst wieder mühevoll aufrappeln musste, so dass es aus einen Zeitraum von mehr als 15 Jahren nur sehr wenige Bauzeugnisse gibt und c), da sich die Finanzierungsformen und die zu befriedigenden Zielgruppen kontinuierlich änderten (was sich auch schon während der Gründerjahre abzeichnete) und durch die gänzlich geänderten Verhältnisse in der Weimarer Republik noch forciert wurde.


    Die immer kürzer werdenden Zyklen in der Abfolge von Stilen oder in der wechselnden Art der Finanzierung (angefangen bei privaten Bauherren, die einzelne Parzellen bei Bauern erwarben über Terraingesellschaften, die Gebiete weiträumig aufkauften, erschlossen und an immer größere Bauherrengemeinschaften veräußerten bis hin zu Baugenossenschaften und Artverwandtem und den später aktiven städtischen Gesellschaften) sind das Resultat der Schnellebigkeit der Gründerjahre und der Suche nach immer neuen Möglichkeiten, die Bedürnisse der jeweiligen Klientel zu befriedigen und haben zunächst nicht viel mit einer (Bau)Kultur zu tun.


    Das Jahr 1930 ist hier auch sehr willkürlich gewählt. Da war bereits die erste Hochphase der Bautätigkeit während der Weimarer Republik überschritten. Der Wohnungsbau, der zu dieser Zeit deutlichen Vorrang vor allem anderen hatte, wurde beinahe ausschließlich von Genossenschaften oder städtischen Gesellschaften betrieben. Ziel war es, die Menschen mit angemessenem und bezahlbarem Wohnraum zu versorgen und die Möglichkeiten der 'neuen Zeit' mit einzubeziehen, die zunehmende Industrialisierung im Bauwesen und die geänderten Mobilitätsbedürfnisse betreffend. Dass sich das Entwerfen zu der Zeit weg von der 'schönen' Fassade und hin zu neuen bedarfsgerechten Grundrissen und Ausstattungen verlagerte, sollte man nicht oberflächlich als kulturellen Verfall bezeichnen. Im Übrigen entwickelte sich nach 1933 in einer berühmt-berüchtigten Zeit nochmal eine ganz andere Bautradition, in der im Geschosswohnungsbau verstärkt auf nationale Traditionen gesetzt wurde ( Sattel- und Walmdach kam zu neuen Ehren, großflächige Verglasungen wurden wieder durch 'Schießscharten-Löcher' mit Kämpfer und Pfosten ersetzt) auf dem Lande etablierte sich der national besonnene sog. "Heimatschutz-Stil" und gesellschaftliche Bauten kamen im seinerzeit international sehr populären neoklassizistischen Erscheinungsbild daher. Eine starre Demarkationslinie zwischen Gut und Schlecht gibt es also nicht. (viele Zeitgenossen datieren übrigens mittlerweile die Bauten der 20er und die der NS-Zeit in falscher Abfolge)


    Die Erfahrungen mit den Gründerjahren - die Stuckfassaden waren zu der Zeit noch nicht historisch, sie galten mehrheitlich als Symbole für das extrem profitorientierte, in vielen Fällen menschenverachtende Bauen und waren ohne künstlerischen Wert (ähnlich wie heute der "Gelsenkirchener Barock" in den Wohnstuben mancher fortgeschrittenen Semester) - führten dann zu immer neuen Formensprachen, die sich auch optisch bewußt gegenüber den noch jungen Fehlentwicklungen abgrenzen wollten. Dass das im Folgenden noch zu ganz neuen Fehlentwicklungen führen sollte, steht auf einem anderen Blatt. Die Abkehr von den bis dahin üblichen Verfahren, mit traditionellen Methoden errichtete, aus der Erfahrung und den Beschränkungen quasi als normiert zu bezeichnende Gebäude mit mehr oder weniger willkürlichem Fassadenschmuck zu behängen und sich statt dessen mit neuen, 'ehrlichen' Versuchen an den Bedürfnissen und Möglichkeiten einer Mehrheit zu orientieren, würde ich nicht als Kulturverlust bezeichnen (wie man auch der jüngst erfolgten Einstufung von sechs Berliner Wohnanlagen dieser Zeit als Weltkulturerbe entnehmen kann). Wenn schon, dann setzt dieser bereits viel früher ein, nämlich zu einer Zeit, als sich Ausdruck und Funktion völlig auseinander gelebt haben: die Zeit der Spekulanten ab den 1870ern, die vor jeden mittelmäßigen Steinhaufen eine imposante, oft kurzlebige Fassade klatschten. Aber ich sehe ein, dass Tradition und Kultur von vielen lieber mit dem schönen Schein in Zusammenhang gebracht werden und diese Einstellung daher nicht viele Freunde findet ;).


    Ich bin offen für jeden Widerlegung einzelner genannter Punkte, hoffe aber trotzdem, dass mein Abriss einigen helfen möge, manchere jüngere Entwicklung und deren Bewertung zu verstehen.

  • AeG #17: danke von meiner Seite für die schöne Beschreibung der Jahre ab ca. 1900 bis ca. 1930 (wirklich ehrlich gemeint).:)


    Doch fällt mir immer wieder auf, dass in Frankfurt, viele schöne, noch stehen gebliebene Gebäude und mit Fassadengestaltung, gerade um 1900 bis in 1928 etwa datiert sind. Das mag eine subjektive Sicht sein.


    Der Umbruch auf die "Moderne" zu, mag sich auch differenzierter abgespielt haben. Doch zurückblickend leider mit dem von mir genannten Effekt bzw. diesen Folgen.

  • Natürlich hatte dieser - an sich gut gemeinte - Umbruch auch seine negativen Folgen. Ich finde in der Summe auch gerade die Bauten mit den etwas reduzierteren Fassaden aus der Zeit kurz nach der Jahrhundertwende attraktiver als vieles, was in den letzten 50 Jahren gebaut wurde. Ich denke, die Hauptgründe für die weiteren Fehlentwicklungen liegen unter anderem in der kompromisslosen Anwendung des industrialisierten Bauens (bei der die Ignoranz mancher heutigen Bauherren der, der übelsten gründerzeitlichen Spekulaten in nichts nachsteht), weiterhin in der Fülle der immer neuen Paradigmen, deren Ergebnisse letztlich doch nur wie in einem Setzkasten nebeneinander stehen, die uns das 'Zeitalter der Meinungsfreiheit und der Profilsucht' beschert haben und eben in der völligen Abkehr von nationalen bzw. regionalen Traditionen, was letztlich zum Verlust der Identität führt. Dabei wird bei zunehmender Mobilität die Identifikation immer wichtiger.


    Noch ein Aspekt, der aus meiner Sicht zu einer auffälligen Verschlechterung der gebauten Umwelt beiträgt: früher waren Bauherr und Nutzer oft identisch oder es wurde zumindest für einen überschaubaren Personenkreis an einem konkret bekannten Ort gebaut. Heute werden Gebäude häufig von anonymen Investorengemeinschaften errichtet, die die Gegenden nicht kennen und die Nutzer gleich gar nicht. Selbstgefällige Bürokraten in Berlin, Bonn oder Brüssel erlassen Verordnungen, die massiven Einfluss auf die immer austauschbarere Gestalt der Städte und ihrer Bauten besitzen und machtbesessene Politiker betreiben sowohl untereinander, als auch mit Architekten und Bauherren gerne Spielchen, bei denen es um alles Mögliche geht, nur nicht um angemessene Architektur. Kein Wunder, dass sich unter diesem Voraussetzungen der Genius loci längst verabschiedet hat.




    Noch ein Nachtrag zu meinem letzten Beitrag: an der massiven Änderung der Finanzierungsformen und Eigentümerverhältnisse von Wohnbauten nach 1918 war zusätzlich noch der notgedrungene Entfall günstiger Baudarlehen beteiligt, wie sie ab 1871 aus den Reparationsleistungen Frankreichs für das Aufkommen der Gründerzeit wesentlich verantwortlich waren.

  • Ist eigentlich schon aufgefallen, dass es in erster Linie um Wohnbauten geht?


    Zwar gibt es die Forderung nach der Rekonstruktion von Baudenkmälern wie Kirchen, Schlössern und Kulturhäusern auf der einen Seite. - Bei der aktuellen Debatte, die sich aber zu einer Grundsatzdebatte über Fassadengestaltung und Stadtraum entwickelt steht im Mittelpunkt pauschaler Rekonstruktionsforderungen fast immer das Wohnen, so wie in erster Linie Wohngebäude der Moderne in der Kritik stehen.


    Daraus schlussfolgere ich:


    1. Die Moderne steht in erster Linie bei Wohnbauten in der Kritik.
    2. Die Hauptkritik betrifft außerdem den Städtebau und die Fassaden. Sowohl Grundrisse als auch Haustechnik moderner Häuser scheinen akzeptiert. (Also nicht grad billigst 50er sondern Aufzüge, Maisionette-Typen, Lofts, oder auch modern innensanierte Altbauten)


    Bei der Kritik am Städtebau stehen aber eigentlich schon lange nicht mehr verfolgte Konzepte aus der Charta von Athen in der Kritik.
    Der aktuell aktive Städtebau mit kleineren Fußgängerzonen, shared Space zwischen Auto und Fußgänger, U-Bahnen als ÖPNV, Rückkehr zum Nutzungsmix in der Stadt und baulichen Raumkanten ist ja eigentlich eine weitgehende Fortsetzung alter Traditionen. Letzten Endes sollen großflächige Rekonstruktionen ja meistens sogar in einem solchen städtebaulichen Konzept entstehen.
    Dadurch bleibt als einziger anhaltender Kritikpunkt der "Moderne" und damit pauschaler Grund für Rekonstruktionen das Missfallen der Fassaden.


    Offensichtlich wünschen sich viele Menschen also die "geschmückte Stadt". Fraglich weshalb man überhaupt so radikal davon abgekehrt ist, Stuck kostet ja nicht die Welt. Und der "neue Mensch", der sich nach so viel Niveau in der Gestaltung sehnt ist einfach eine Illusion. Aber vielleicht wird man irgendwann dazu wieder zurückkommen. Nur - wozu dann noch Rekos außerhalb von richtig wertvollen Baudenkmälern.