Gibt es eine "Deutsche Baukultur"?

  • Gibt es eine Deutsche Baukultur?

    Gibt es eine spezifisch deutsche Architektur?
    Wenn ja, wie sieht sie aus und wie gefällt sie dir?


    Ich persönlich möchte bei der Antwort differenzieren zwischen Gewerbeimmobilien und dem Wohnungsbau.


    Der Wohnungsbau in Deutschland kennt viele lokale Eigenarten, was ich außerordentlich begrüße. In diesem Sektor hat nach dem deutschlandweit austauschbaren Bungalow der 70er Jahre wieder eine Rückbesinnung auf die lokalen, traditionellen Bauweisen, -typen stattgefunden. So entstehen heute an den Küsten wieder viele Reetdachhäuser, in der Norddeutschen Tiefebene werden rot verklinkerte Häuser mit Walmdach errichtet, und in Schwaben verputzte Häuser mit Satteldach.


    Wenn ich hingegen an den Gewerbebau denke verfinstert sich meine Mine. Die Gewerbeimmobilien sind absolut austauschbar, z. Zt. erhalten fast alle Neubauten Vollglasfassaden. Dieses führe ich unter anderem auf die Tatsache zurück, daß der private Bauherr als Errichter einer Immobilie kaum noch vorkommt. Die größeren Büroimmobilien werden von Fonds realisiert, diese errichten eine funktionale Immobilie, die sich nach 14-16 Jahren ammortisiert haben muß, halt "Investorenarchitektur", auch "Abschreibungsarchitektur" genannt. Sie errichten sich mit ihrer Immobilie kein Denkmal, sie verfolgen auch kein höheres Ideal, wie z. B. der Stadt einen neuen schönen Bau zu schenken, sondern sind rendite-orientiert. Den meisten der heute errichteten Büroimmobilien prophezeihe ich eine Lebensdauer von unter 30 Jahren.
    Wenn es eine typisch deutsche Architektur für Gewerbeimmobilien gibt sieht sie so aus: kühl, streng, und z. Zt. Vollglas-> Neue Transparenz

  • deutsche Baukultur? Könnte man da Fachwerkhäuser hinzuzählen?
    Oder diese Fertighäuser, die zumindest bei uns in der Region (die Fertigbaufirma kommt aus nem Nachbarort) realtiv häufig gibt? Hab die woanders (noch) nicht gesehen...

  • Die Baukultur könnte zumindest durch verstärkte Gestaltungssatzungen insofern gefördert werden, daß es keine Narrenfreiheit für Architekten und Investoren (welche letzlich durch zu geringe Budgetvorgaben hauptsächlich mangelhafte Architektur zu verantworten haben)mehr gibt, Gebäude ohne Rücksicht auf das Erscheinungsbild des, zumindest in Städten zumeist historischen und meist durch einen gewachsenen, regionaltypischen Charakter geprägten Umfelds zu errichten. Mein Lieblingshassobjekt, das neue Kranzler-Eck am Kurfürstendamm, wäre ohne eine strengere Gestaltungssatzung in der Form nicht möglich gewesen und würde dessen Erscheinungsbild heute nicht als störender Fremdkörper beeinträchtigen. Freunde von architektonischen Brüchen mögen das anders sehen, ich denke jedoch, ein ursprünglich harmonisches städtebauliches Ensemble sollte behutsam repariert werden anstatt dessen Brüche weiter zu vertiefen und somit rücksichtslose, kontextlose Investorenarchitektur als Trittbrettfahrer nach sich zu ziehen, bis die Entstellung nicht mehr rückgängig zu machen ist.

  • Als typisch deutsch ampfinde ich immer wieder die etwas kleineren Mietskasernen in den Vorstädten mit einem stumpfen Satteldach und 6 bis 10 Wohnungen pro Haus, drei vier fünf oder auch 20 Häsuer dieses Typs gestaffelt hinereinander angeordnet in einer Siedlung, oft kombiniert mit Reihenhäusern. Die ersten Vorläufer dieser Art des Wohnungsbaus stammen aus den 20er Jahren, dann gibt es sehr viele solcher Siedlungen aus den 50er und 60er Jahren, aber im Prinzip wird auch heute noch oft so gebaut. Diese Siedlungen findet man in allen Winkeln Deutschlands mit geringfügiger Abweichung (Backstein im Norden, Putzbauten im Süden), interessanterweise auch in Ostdeutschland, wenn auch nicht so häufig wie im Westen, weil die Prioritäten des Wohnungsbaus in der DDR bekanntlich anders waren. Aber ich kann mich nicht erinnern, jemals Vergleichbares im Ausland gesehen zu haben.

  • typisch: heller putz, rotes (oder dunkles) satteldach, einfach, schnörkellos





    leider fehlt mir ein bild von typischen 50iger und 60iger wohnblocks



    (hängt natürlich von der region ab - im norden ist ziegel/backstein in)





    in kaum einen land europas leben so wenige leute in eigenheimen, wie in deutschland. mietshäuser (die meistens so aussehen, wie in pic 1 und 2) bestimmen das bild deutscher städte

  • in kaum einen land europas leben so wenige leute in eigenheimen, wie in deutschland. mietshäuser bestimmen das bild deutscher städte


    Da sollte man schon differenzieren - ob es um die Eigentumsform oder die Bauform geht?
    Man kann nicht die Gegend mit freistehenden EFH's ganz zersiedeln. Ausserdem - es gibt ETW-Anlagen, die besser wirken als auf den Bildern darüber... :cool:

  • ach hier noch ein Bild von nem ich denke typisch deutschen Straßenzug/Fachwerkhaus (den obigen Beitrag kann man nach 1440 Minuten nicht mehr editieren)


  • Hier ein typisches Beispiel für ein Wohnhaus der späten 60er/frühen 70er Jahre von dem Typus, den ich meine, Version Norddeutschland (in Süddeutschland wäre es verputzt und es gäbe etwas weniger Bäume). Ich finde diese Häuser übrigens gar nicht verkehrt und bin durchaus der Ansicht, daß man sie als Architektur bezeichnen sollte. Sie sind für das Land charakteristisch, folgen einem bestimmten städtebaulichen Konzept, das es außerhalb Deutschlands kaum zu geben scheint, und ich mag in der Regel auch die Atmosphäre dieser Wohnsiedlungen.






    Bei der Suche nach diesem Bild ist mir übrigens dieses über den Weg gelaufen:





    Dieser Typus Einfamilienhaus ist außerhalb Deutschlands wahrscheinlich auch nicht zu finden.

  • Die von euch angesprochenen Mehrfamilienhäuser der 50er und 60er Jahre sind in der Tat typisch für Deutschland. (Im Ausland sind sie mir nur in der Schweiz begegnet.)

  • Original geschrieben von Bewacher
    Da sollte man schon differenzieren - ob es um die Eigentumsform oder die Bauform geht?
    Man kann nicht die Gegend mit freistehenden EFH's ganz zersiedeln. Ausserdem - es gibt ETW-Anlagen, die besser wirken als auf den Bildern darüber... :cool:



    die "eigentumsform" bestimmt oft die bauform. die bilder zeigen typische beispiele. natürlich gibt es auch bessere (und schlechtere) beispiele, aber hier geht es nun mal um die typischen bauformen...


    in GB zum beispiel sind mehrfamilienhäuser (egal ob miet oder etw) eher die ausnahme. als typisch englische bauform würde ich zum beispiel das kleine reihen-/bzw das sog. terassenhaus nennen. diese terassenhäuser sind in den seltensten fällen mietshäuser. die sehr grosse mehrheit der briten wohnt in eigenen 4 wänden. die "eigentumsform" bestimmt hier die bauform in den meisten fällen....

  • BMXican

    Ach, gerade aus London kenne ich viele MFH-Anlagen, die ganz gut aussehen und ordentliche Dichte gewährleisten - sowas, am besten unweit des ÖPNV, ist mir lieber als endlose EFH-Siedlungen...
    Schlimm, daß man Wohneigentum so sehr mit frei stehend und Fläche verbrauchend assoziert... :mad: :(

  • worum geht es dir eigentlich? es behauptet keiner, dass wohneigentum automatisch freistehende einfamilienhäuser bedeutet...


    fakt ist, dass in fast allen anderen europäischen länder die eigentumsquote deutlich höher ist, als in deutschland...und zufall oder nicht... auch die anzahl von einfamilienhäusern/reihenhäusern


    und natürlich gibt es genügend mfh in london - wie in jeder grossen stadt. aber der grösste teil der stadt ist mit endlosen terassenhäusern bedeckt...


    :mad:


    so, und nun zurück zum thema

  • es behauptet keiner, dass wohneigentum automatisch freistehende einfamilienhäuser bedeutet...


    Keiner hier im Forum - dafür jeder Werbespot der Bausparkassen im Fernsehen - und ich fürchte, dies beeinflußt doch die geltende Wahrnehmung... :mad: Wie auch Träume der Kaufwilligen... :mad:


    PS: Ich habe London wirklich oft und umfangreich gesehen - und zwar nicht nur Soho! ;)

  • für die vergangenheit kann man da sicher ne antwort auf die frage geben: die bauhausbewegung war sicher typisch deutsch- bis die noch viel "deutscheren" nazis es zerstört haben.


    die romanik wurde auch sehr lange als urdeutscher baustil begriffen.(und wird es teilweise heute noch )



    aber für die gegenwart muss ich fragen :


    kann und soll es in einer globalisierten welt überhaupt nationale architektur geben, oder wäre das nur ein abreiten typischer klischees, wie etwa die supermodernen und superkitschigen österreichischen skihotels oder oberbayerischen ferienwohnungen.


    (Oh, oh, dieser thread könnte böse enden)

  • hier noch ein paar bauwerke, die ich typisch "deutsch" finde


    deutscher pavillion auf der weltausstellung in barcelona:



    haus tugendhat (beide von mies van der rohe)



    AEG turbinenhalle von peter behrens