Kann Architektur böse sein?

  • Kann Architektur böse sein?

    Dieses Thema wurde bei SC in diversen Threads schon mal angeschnitten. Wegen dem aktuellen "Welt"-Artikel kann man das vielleicht nochmal diskutieren.


    Böse Prinzen, gute Prinzen


    Italien, Japan und Spanien nutzen in Berlin wieder ihre Botschaften aus der Zeit des Nationalsozialismus


    von Rainer Haubrich



    Wann entstand eigentlich die Vorstellung, im Nationalsozialismus sei nur schlechte Architektur gebaut worden? Bis heute gehen auch dem interessierten Laien die passenden Begriffe leicht über die Lippen: "größenwahnsinnig", "einschüchternd", "plump", "faschistisch". Und Albert Speers Planungen für die "Welthauptstadt Germania" waren ja auch nicht gerade bescheiden - wenngleich für eine Metropole, die mindestens Europa beherrschen sollte, auch nicht völlig verkehrt dimensioniert.



    Aber gilt das etwa auch für Speers Tempelchen rund um die Siegessäule oder seine Straßenlaternen an der Ost-West-Achse? Wie steht es mit dem Olympiastadion oder dem Flughafen Tempelhof? Oder mit den Botschaftsgebäuden aus den späten dreißiger Jahren?



    Sie gehören zu den wenigen Projekten in Speers Plänen für Berlin, die tatsächlich gebaut wurden, alle angesiedelt im Diplomatenviertel am Südrand des Tiergartens. Die ehemaligen Vertretungen Dänemarks, Norwegens und Jugoslawiens stehen zwar bis heute, werden aber anders genutzt - zum Teil als Wohnhäuser. Nur drei Botschaftsgebäude aus dieser Zeit, ausgerechnet die prominent platzierten Großbauten der damaligen engen Verbündeten Italien, Japan und Spanien, werden heute wieder als Repräsentanzen ihrer Länder genutzt.



    Wenn es noch eines Beweises dafür bedurfte, dass nicht jede Architektur aus finsterer Zeit zugleich ein finsteres Bauwerk sein muss, so wurde dieser schon beim Wiedereinzug der Japaner in ihr neoklassizistisches Botschaftsgebäude erbracht. Ein weiterer folgt am Donnerstag mit der offiziellen Eröffnung der italienischen Botschaft: ein - zugegeben - üppig dimensionierter, dennoch wohlproportionierter, fester Bau, erstaunlich hell, stellenweise fast heiter. Nur an wenigen Stellen erinnert er unmittelbar an die Zeit der knallenden Stiefel, etwa im steinernen Hof, der die Härte und Unerbittlichkeit seiner Erbauer spüren lässt.



    Wer die sinnfällige Disposition des Hauses erlebt, seine Einordnung in die Kette von Gebäuden an der Tiergartenstraße, wird jedenfalls kaum verstehen, wie es zum Hochmut der zeitgenössischen Architektur gegenüber solchen Bauwerken kommen kann - man vergleiche sie nur mit den zuletzt entstandenen Botschaftsgebäuden gefeierter Architekten, etwa dem von Hans Hollein zusammengerührten Architekturgulasch der österreichischen Botschaft oder der exaltierten britischen Repräsentanz von Michael Wilford. Da lernt man zumindest die Solidität von Bauten schätzen, deren Lebensdauer weit über das Verfallsdatum von Silikonkitt hinaus reicht.



    Die italienische Botschaft ist von den drei Bauten das einzige, fast vollständig erhaltene Original. Die heutige Repräsentanz Japans gleich nebenan, deutlich eleganter als die beiden Schwesterbauten, erstand vor Jahren als Kopie neu, und von der spanischen Vertretung blieben nach dem jüngsten Umbau nur die Front des Repräsentationsflügels und der Kopfbau an der Straßenecke erhalten. Wer genau hinsieht, erkennt über dem Portal die hellen Flecken, auf denen bis vor einiger Zeit die Insignien des Franco-Regimes prangten. Sie wurden entfernt zugunsten des königlichen Wappens. Matt wirken allerdings die neuen Fassaden in ihrer Unentschlossenheit zwischen Alt und Neu.



    Die Ruine der japanischen Botschaft war erst in den achtziger Jahren abgetragen worden, bevor der bekannte japanische Architekt Kisho Kurokawa das Gebäude als Japanisch-Deutsches Zentrum äußerlich rekonstruierte. Auch das Vestibül mit Marmorwänden und Kassettendecken von Cäsar Pinnau und die repräsentativen Fluchten der Empfangsräume wurden wieder hergestellt. Landestypisches Kolorit vermitteln Vasen und Löwenfiguren an den Eingängen, ornamentale Metallgitter und eine goldene Chrysantheme über der kolossalen Portalnische.



    Nach der Wende zeigten die Japaner wenig Scheu im Umgang mit dem baulichen Erbe, ließen sie doch einen Erweiterungsbau gleicher Größe errichten, der das Vokabular und den Fassadenstein des Vorbildes aus den dreißiger Jahren übernimmt.



    Als der junge Architekt Friedrich Hetzelt die italienische Botschaft in den Formen eines Palastes der Hochrenaissance entwarf, bildete die Vereinigung von Repräsentationsräumen, Residenz und Kanzlei unter einem Dach einen neuen Bautypus. Aber schon kurz nach der Einweihung hatte die Geschichte den Bau eingeholt. Der Zweite Weltkrieg verhinderte die Nutzung der fertigen Räume, nach der Teilung der Stadt wurden sie - bis auf den Kanzleiflügel - nicht mehr gebraucht, sie zerfielen.



    Jahrelang bildete das Gebäude eine der malerischsten Ruinen West-Berlins. Der damalige Leiter des italienischen Kulturinstitutes, Pierangelo Schiera, hat den morbiden Charme der Säle und Kammern in jener Zeit für die Nachwelt festhalten lassen. In einem kleinen Bändchen wurden vor dem Umbau die Impressionen von vier Fotografen versammelt.



    "Behutsam und konservatorisch" ist der im Dezember verstorbene italienische Architekt Vittorio de Feo beim Umbau vorgegangen. Keine Rede mehr von der kindischen Geste späten Widerstandes, mit der seine Kollegin Gae Aulenti noch in den achtziger Jahren den Koloss "aufbrechen" und mit architektonischen Mitteln "durchbohren" wollte.



    An zwei Orten hat de Feo Insignien des faschistischen Regimes aus der Wandverkleidung sichtbar entfernt. Auch die Stellen, an denen das Haus im Krieg von Bomben getroffen wurde, blieben ablesbar. Ansonsten wollten de Feo und sein deutscher Partner Stephan Dietrich vor allem die "Stärken" des Gebäudes wieder ans Licht bringen.



    Als Dietrich zum ersten Mal durch die Ruine ging, war er überrascht, dass die Dimensionen der Räume auf ihn "nicht unangenehm" wirkten. Auch im zehn Meter hohen Festsaal mit den zwei Kronleuchtern nicht, von denen die Architekten einen in Washington ausfindig machten und nach Berlin zurückholten.



    Nach dem Umbau zählt der Koloss der italienischen Botschaft zu den am besten erhaltenen Baudenkmälern aus der Zeit des Nationalsozialismus. Bis heute erzählt er von der damals machtvoll inszenierten Allianz der Achsenmächte Deutschland und Italien.



    Für Pierangelo Schiera gibt es keinen Grund, daran Anstoß zu nehmen. Mit der Gelassenheit des Historikers erinnert er an die prächtigen Paläste der Renaissance, in denen manchmal "böse Prinzen" gelebt hätten. "Auch dieses Haus ist einmal für böse Prinzen gebaut worden", so Schiera, "aber die bösen Prinzen sind weg, und jetzt ziehen wieder gute Prinzen ein".



    Info



    Im Zuge der Planungen für die "Welthauptstadt Germania" entstanden im Diplomatenviertel am Tiergartenrand zahlreiche neue Botschaftsgebäude, u.a. die italienische Repräsentanz, erbaut 1938 bis 1941 von Friedrich Hetzelt, Japans Vertretung von Ludwig Moshamer (1938-42) und Spaniens Botschaft, 1939-43 errichtet von Walter und Johannes Krüger.



    Artikel erschienen am 25. Jun 2003

  • Kann Architektur böse sein?

    Nein! Aber sie kann Ausdruck eines "bösen" Regimes sein - wie eben im Nationalsozialismus. Dennoch gibt es Gebäude aus dieser Zeit, die mir gefallen - trotz ihrer Härte und Strenge. Ich sehe diese Gebäude losgelöst vom geschichtlichen Kontext und beurteile sie wirklich nur nach meinem eigenen Geschmack.
    Was mir bei den Nazi-Bauvorhaben gar nicht passt ist, dass dabei fast immer wertvolle alte Bausubstanz plattgewalzt wurde - so etwa das Alsenviertel am Reichstag, oder der Molkenmarkt, oder Teile der Leipziger- und Wilhelmstraße für den Bau des Luftfahrtministeriums.
    Wären die Speer-Pläne umgesetzt worden, wäre ein großer Teil des alten Berlins zu Gunsten einer eindrucksvollen, aber eintönigen und wenig schönen Großmachtarchitektur verschwunden.
    Die Entwürfe an sich, also Prachtboulevards mit Triumphbögen etc., finde ich interessant, könnte ich mir allerdings nicht mit 30er-Jahre-Architektur vorstellen.
    Unvorstellbar sind ja auch die Dimensionen der Großen Halle....

  • 250m sollte die "Große Halle" hoch werden, oder?


    Kann Architektur böse sein?
    Nein. Aber die Menschen in den Gebäuden, oder die es entworfen haben, ja.
    Ich denke so wie du, Sebastian: man sollte das gebäude als einzelnes betrachten, nicht im ganzen geschichtlichen Kontext. Daher denke ich auch, dass Architektur nicht böse sein kann.
    Kai


    p.s: die jap. Botschaft gefällt mir sehr gut :)

  • Böse Prinzen, gute Prinzen
    Italien, Japan und Spanien nutzen in Berlin wieder ihre Botschaften aus der Zeit des Nationalsozialismus


    BTW: Was ist aus der Ex-Botschaft der UdSSR (im Ostteil der Stadt) geworden, in den 50-ern unter Stalin gebaut? Kann es sein, daß sie von Russland weiter genutzt wird - was offenbar auch keinen aufregt?

  • Bewacher,


    ja, die ehemalige Botschaft der UDSSR Unter den Linden ist heute die russische Botschaft.



    Ich finde Antiquitus' Bemerkung von "metaphorisch bösen" Gebäuden hübsch. Der Anblick mancher Neubauviertel, bzw. die Notwendigkeit, in ihnen zu wohnen, scheint manchmal wirklich Haß und Gewalttätigkeit zu fördern. Jedenfalls kann ich jeden verstehen, der angesichts der Bebauung der Leipziger Straße in Berlin Tobsuchtsanfälle bekommt. ;)

  • Das sehr lesenswerte Buch von Mitscherlich "Die Unwirtlichkeit unserer Städte" sowie andere gute Literatur (meistens von Soziologen!) aus den 70ziger Jahren und beispielsweise auch Jane Jacobs Bestseller "The Rise and Fall of Great American Cities" diskutieren under anderem den Zusammenhang von Städtebau&Architektur und Gewalt/Verbrechen...Aggressionen, Gewalt und Verbrechen, sowie Depressionen und Frustrationen werden gefördert durch eine variable Kombination von unwirtlichem Städtebau , liebloser, monoton oder verwirrender Architektur sowie auch von einer funktioneller und sozialer Einseitigkeit: Beispiele: Grands Ensembles in Frankreich, Trabantenstädte und monofunktional Büro oder Geschäftszonen, etc.. Vereinzelte auch unansehliche Gebäude die passabel integriert sind in belebten und vitalen Stadtteilen dürften verärgern ohne aber pathologische Verhaltensweisen hervorzurufen...Auch ein wunderschön konzipiertes und detailliertes Bauensemble ohne Einwohner, monofunktionell (z.Bsp. Büros oder Einkaufszentrum oder Parkhaus) und ohne organisch komplexe und belebte Stadtstruktur könnte gegebenenfalls Unsicherheit und Verunsicherung provozieren...

  • Architektur kann inhumane Absichten zum Ausdruck bringen. Bei den monumentalen Nazi-Bauten bleibt der inhumane Gedanke immer spürbar, ganz gleich wie sehr man sich auch bemüht, diesen durch Umnutzung oder Umgestaltung auszublenden. Generell würde ich jede Architektur als böse bezeichnen die vorsätzlich keine Humanität und positive Inspiration vermittelt. Insofern auch rein funktionale Bauten.

  • Ja , auch reine Protzarchitektur, einschüchternd, wie sie ist, reiner steingewordener Selbstdarstellungstrieb, alles, was repräsentativ ist, Prunkstrassen, Hochäuser,wie sie den Menschen zum Nichts degradieren, alles, was menschliches Mass ausser Acht lässt....










    Falls es nicht schon jeder gemerkt hat, etwas Ironie. Architektur kann natürlich NICHT böse sein,allenfalls können Prämissen diskreditiert sein, was nicht heisst, dass sie deshalb auch falsch sein müssen.


  • Wann entstand eigentlich die Vorstellung, im Nationalsozialismus sei nur schlechte Architektur gebaut worden? Bis heute gehen auch dem interessierten Laien die passenden Begriffe leicht über die Lippen: "größenwahnsinnig", "einschüchternd", "plump", "faschistisch".


    ich habe das Reichstagsgelände in Nürnberg mal vor ein paar Jahren gesehen.


    Das ist beeindruckend, und wenn man sich das Ganze dann noch bei Nacht vorstellt, mit Scheinwerferlicht und Musik und vielen Menschen, da kann es einem schon kalt den Rücken hinunter laufen und die Versuchung ist gross, zu allem begeistert "ja" zu schreien, was der Typ am Mikro vorn gerade erzählt, ganz egal, WAS er erzählt.


    Wenn gute Architektur jene ist, die ihren Zweck gut erfüllt, dann ist das Reichtstagsgelände auf alle Fälle gute Architektur. nur der Zweck ist eben ein sehr unsympathischer.


    "böse" ist ein grosses Wort, im Zusammenhang mit Architektur scheint es mir nicht wirklich passend. Generell würde ich sagen, dass die Architektur des 20. Jahrhunderts einerseits viele Innovationen brachte, die den Komfort erhöhten - fliessend heisses Wasser in jeder Wohnung, Elektrizität in jeder Wohnung etc - dass andererseits aber viele Details verloren gingen, die ein Haus oder eine Wohnung erst wohnlich machen. Für die Architekten von Hochhäusern scheinen die zukünftigen Bewohner nur eine Art Batteriehühner mit etwas strikteren Haltungsbedingungen zu sein, der Mensch hatte sich an die standardisierten Module anzupassen, nicht mehr umgekehrt, das Haus wird auf den Bewohner massgeschneidert, wie es bei jedem Steinzeitvolk üblich und normal ist. ich hoffe, dass sich dieser Trend wieder umkehrt.


    grüsse
    das fräulein

  • die Bösheit der Architektur des 3. Reiches drückt sich meiner Meinung nach nicht in erster Linie darin aus was gebaut wurde sondern darin, was nicht gebaut wurde (weil es parteigeschmacklichen Gründen verboten war oder weil die betreffenden Architekten verfolgt, vertrieben und ermordet wurden)


    Die Bösheit des 3. Reiches zeigt sich zudem in Ihrer Behandlung des europäischen Architekturerbes: Die angestrebte flächenhafte Zerstörung der Städte samt Ihrer Bewohner.

  • Ups, das ist in der Tat ganz schön gewagt wie ich finde. Hier sieht man das auch nochmal etwas genauer. Naja im Grunde ne schöne Idee von der Optik her, aber es wirklich ziemlich mutig, davon gleich zwei nebeneinander hinzustellen, das schreit ja geradezu nach Provokation. Also so "unbedacht" kann das doch garnicht geplant worden sein :nono:

  • Keine Architektur zur Diskussion

    Der Schwerbelastungskörper (siehe Wikipedia) in Berlin-Tempelhof ist eher ein Ingenieurbauwerk oder sogar nicht einmal das. Als Grundbau-Experiment war er für 20 Wochen angesetzt und blieb doch stehen. 1995 wurde er unter Denkmalschutz gestellt, da er aus Sicht des Landesdenkmalamtes Berlin (Oberste Denkmalschutzbehörde im Land Berlin) "sichtbarstes" Zeichen der städtebaulichen Planungen im Nationalsozialismus und des damaligen Größenwahnes sei.
    Zwischen 2007 und 2009 wurde er saniert und das umgebende Grundstück hergerichtet (siehe Internetseite der Museen Tempelhof-Schöneberg zum Schwerbelastungskörper). Die Finanzierung kam aus dem Programm "Stadtumbau-West". Ergänzend kam eine Aussichtsplattform und ein Aufenthaltsraum für Schülerarbeit und Personal hinzu. Informationsstelen bringen grundlegendes Wissen in Deutsch und Englisch an den Besucher. Bei den Führungen habe ich häufiger die Diskussion darüber oder die Frage danach erlebt, ob die Planungen für Berlin nicht schön statt menschenverachtend oder vorausschauend und nicht größenwahnsinnig seien.
    Aber auch der Grundbau mit seiner Entwicklung ab Ende der 1920er Jahre und das Thema Beton können hier wunderbar erläutert oder erlebt werden. Wegen letzterem gibt es nun auch einen Eintrag im Blog "Mein-Beton" von beton-campus.de

  • zu #17:


    Dieses Projekt ist für mich bestimmt eine Entdeckung... und nicht gerade eine positive! Das gehört zwar nicht unbedingt zur "bösen" Architektur, aber das ist bestimmt rücksichtslos, auf so eine offensichtliche Weise die Welt an dieses schreckliche Geschehnis zu erinnern...

  • ^


    Ich muss allerdings sagen, dass es mir wohl auch nicht aufgefallen wäre, wenn's hier nicht angesprochen worden wäre.

  • Ist ein wirklich interessantes Projekt und eigentlich eine tolle Idee. Von Nahem betrachtet sieht es auch wirklich schön aus, aber von weitem weckt es tatsächlich böse Erinnerungen. Deshalb finde ich, sollte es so nicht gebaut werden.



    Zum Thema allgemein:
    Architektur kann, meiner Meinung nach, wie jede andere Kunst auch alle nur möglichen Emotionen hervorrufen und somit auch Angst und andere negative Gefühle wecken. Deshalb könnte man durchaus behaupten, dass Architektur "böse" sein kann.