Vom Postplatz nach Räcknitz (Teil I)
Bei regnerischem Wetter begab ich mich auf die Fährten einer Strecke, die bereits 1933 das Zeitliche segnete und deren Spuren aufgrund Kriegszerstörungen, Überbauungen und diverser infrastruktureller Überformungen in den letzten Jahrzehnten mitunter nur noch schwerlich nachzuvollziehen sind.
Am 30.11.1890 eröffnete die Deutsche Straßenbahn-Gesellschaft in Dresden als eine ihrer ersten Pferdebahnstrecken eine Linie von den Neustädter Bahnhöfen über die Albertbrücke, Terrassenufer, Elb- und Hasenberg, Pirnaischer Platz, weiter vom Postplatz durch die östliche Seevorstadt zum Bergkeller in der „Altstadt II. Später wurde diese Linie mit der vom Albertplatz zum Wilden Mann zusammengelegt, so dass eine bis 1931 befahrene durchgängige Verbindung Wilder Mann – Bergkeller, ab 1899 elektrisch und ab 1905 weiter nach Räcknitz, entstand, die spätere Linie 6. Als Linienkennung trugen die Wagen eine orangenen Stern mit einem „N“ auf dem Fahrzeugdach – „N“ für „Neustädter Bahnhöfe“.
Die Grafik zeigt den südlichen Streckenabschnitt der Linie 6 vom Postplatz nach Räcknitz im Zustand von 1929, wenige Jahre vor Einstellung des Betriebes. In den letzten beiden Betriebsjahren (1931-33) wurde die nach Coschütz verlegte 6 noch von einer neuen Linie 8 Waldschlößchen-Räcknitz abgelöst, bevor der Straßenbahnverkehr zwischen Postplatz und Räcknitz aufgegeben wurde.
Wie schon so oft ergab sich das Problem, dass die „Gelbe“ bereits alle irgendwie sinnvollen und direkten Wege in Richtung Süden bereits fest okkupiert hielt. Somit blieb wieder einmal eine eher abenteuerliche Führung westlich des Böhmischen Bahnhofs mit Überquerung des Bahnhofs-Vorfeldes, zunächst ebenerdig, bald aber auf der neu entstandenen und in den 1960er Jahren entschwundenen Hohen Brücke.
Am Postplatz beginnen wir im Bereich der ehemaligen Haltestelle, die zuletzt bis zum großen Umbau vor wenigen Jahren noch von der Linie 11 bedient wurde. Die Käseglocke leistete auch schon den Fahrgästen unserer aus der Ostra-Allee kommenden alten 6 gute Dienste.
Die Marienstraße ist zumindest in ihrem Straßenquerschnitt noch original erhalten, von der Bebauung kann man das leider nicht mehr sagen. Auch hier verschwanden die Straßenbahngleise erst vor wenigen Jahren und wurden durch die parallele Gleistrasse in der Wallstraße ersetzt.
Wenig später in der Marienstraße folgen wir den Mauerresten der Oberpostdirektion, die wir in voller Pracht auf der alten Postkarte bewundern können.
Die Architektur des neu entstehenden Gebäudekomplexes an der Ecke zur ehemaligen Breiten Straße lässt sicher keine ästhetisch bedingten freudbetonten Gefühlsausbrüche erwarten, dennoch ist schon zu erkennen, wie eminent wichtig der Bau für die strukturelle Gesundung einer der nach wie vor zahlreichen Zentrumsbrachen sein wird. Auf dem zweiten Bild blicken wir in das ehemalige Westende der Breiten Straße (heute ansonsten überbaut). Nach Stilllegung der Strecke nach Räcknitz lagen die Gleise nur noch bis zur schon damals vorhandenen, als Zwischenendpunkt genutzten Gleisschleife Breite Straße (nach dem Krieg Wallstraße), die in veränderter Form noch heute besteht. Ab 1947 wurde über diese Reststrecke die Prager Straße vom Postplatz kommend neu angebunden.
Bis zur Zerstörung befand sich auf dem Areal die Kunstgewerbeschule, ehemals Gebäude der Technischen Bildungsanstalt und damit des Vorgängers der TU Dresden. Womit sich bereits ein Bogen zum zweiten Teil des Berichtes spannt. Im Vordergrund die Breite Straße.
Wir nähern uns dem Dippoldiswalder Platz und blicken gen Rathausturm, leider durch die unschöne Fahrleitungsanlage der Gleisschleife in Mitleidenschaft gezogen. Die Bahn im Hintergrund befährt die Ersatzstrecke in der Wallstraße.
Der Dippoldiswaldaer Platz (so die einstige Schreibweise) war bekannt als Standort einer gastronomischen Dresdner Institution, des Trompeterschlößchens. Für das Vergleichsbild aus fast identischer Perspektive braucht man zugegebener Maßen besonders starke Nerven. Unfassbar, dass die monströs-widerwärtige Tiefgaragenspindel der Centrum Galerie sich am exakt gleichen Standort befindet. Da helfen auch keine replizierten Silberwaben.
Gegenüber befindet sich noch immer das 1966 errichtete Hochhaus des Wirtschaftsrates des Bezirkes Dresden in seiner 1990er-Version mit der unter Denkmalschutz stehenden Margon-Werbung, weshalb es im Volksmund auch als Margon-Haus bekannt ist. Links daneben mündete einst die anders als ihr Name es vermuten lässt sehr enge Große Plauensche Straße ein, der unsere Sechs weitergehend folgte.
In der heutigen Hinterhof-Tristesse der westlichen Seevorstadt ist das wie so oft hübsch gestaltete Drewag-Häuschen ein kleiner Lichtblick. Irgendwo hier verlief unsere Straße.
Wir blicken zurück auf den Bereich der einstigen Einmündung der Großen Plauenschen Straße auf den Dippoldiswald(a)er Platz und erkennen in Bildmitte die Westfassade des einzigen Altbaus weit und breit, des Bankhauses am heutigen Dr.-Külz-Ring.
Könnten wir die Große Plauensche Straße noch in Anspruch nehmen, würden wir in Bälde das Josephinenstift flankieren. Bis 1933 wäre dies natürlich auch noch mit der Straßenbahn möglich gewesen. Vor dem Stift befand sich eine Ausweiche, ansonsten war die Strecke aufgrund der Enge der Straße bis zum Plauenschen Platz eingleisig.
Nach einigen Irrungen und Wirrungen durch die Hinterhof-Einöde der innerstädtischen Vorstadt-Siedlung (ein typisch dresdnerisches Paradox) treffen wir an der Josephinenstraße dann doch noch auf den letzten kläglichen Rest der einstigen Hauptverbindungsstraße zwischen der Residenz und dem Dorfe Plauen, wie das Schild verrät. Der Blick zurück zeigt die gesichtslose Wohnzeile, die ihr heute den Weg in Richtung Stadt verstellt.
Und hier offenbart sich Überraschendes: Im originalen Straßenplanum ist der Grobpflasterstreifen des am nördlichen Fußweg entlangtrassierten Gleises noch deutlich erkennbar.
Bald darauf wäre von der Großen Plauenschen Straße die Feldgasse abgegangen, heute geht erstere nahtlos in selbige über. Die Ansicht erinnert nicht von ungefähr an Prora, denn wir sehen die Hinteransicht der ehemaligen Reichsbahndirektion, 1936-38 für die Landesbauernschaft Sachsen errichtet. Davor ein typischer 90er-Jahre-Bürobau.
Wir stehen auf der wegen des Hochstraßenbaus der Budapester Straße heute fehlenden Anbindung an den ebenso fehlenden Plauenschen Platz und blicken zurück.
Dieser präsentierte sich in nordöstliche Richtung geblickt dergestalt, es kreuzt die Ammonstraße mit einer Straßenbahn auf dem „26er Ring“, ganz rechts die Einmündung der Großen Plauenschen Straße. Einst befand sich am gleichen Standort der „Plauensche Schlag“ – die Zolleinnahmestation. Weiter nach Plauen ging es über die spätere Chemnitzer Straße, heute in Teilen Budapester Straße.
Auch hier möchte ich dem geneigten Betrachter ein Vergleichsbild nicht vorenthalten, bei dem man beim besten Willen nicht erkennen kann, dass ich exakt die gleiche Perspektive gewählt habe. Erschütternd.
Drehen wir uns um 180° und blicken über die Grünfläche, unter der die ehemalige Kohlschütterstraße und damit unsere Straßenbahntrasse verschüttet liegt, in Richtung Hauptbahnhof. Die Strecke näherte sich nun schnurstracks der Hohen Brücke, deren Fehlen im Folgenden einen nicht unerheblichen Umweg nötig machen wird.
Vergleichsbild mit Stadtmotiv gefällig? Die Südostseite des Plauenschen Platzes, hinter dessen Nummer 1 die Mittelhalle des Hauptbahnhofes hervorlugt. Linkerhand die Ammonstraße, rechts die Kohlschütterstraße. Der Gleisverlauf der Kurve gibt mir allerdings Rätsel auf, offensichtlich hat hier jemand schlecht retuschiert. In Richtung der Brücke Chemnitzer Straße führten sie im Original jedenfalls definitiv nicht.
Ja, da drüben wären wir angekommen… Zu erkennen ist das südliche Widerlager der Hohen Brücke an der Bismarckstraße (Bayrische Straße) und ebenso die Notwendigkeit ihrer Beseitigung in den 1960er Jahren – sie war für die damals errichteten Oberleitungsanlagen der Bahn einfach viel zu niedrig.
Im zweiten Teil geht es dann jenseits der Bahnanlagen weiter.